Noch gestern Morgen dachte ich, dass ich nichts Spezielles zum heutigen Weltfrauentag schreiben und hier veröffentlichen würde. Aber dann passierte zweierlei: Erstens fuhr ich mit der S-Bahn und zweitens mailte ich mit einer Kollegin. In der Bahn war es mäßig voll und ich fand einen freien Sitzplatz, schräg gegenüber eines jungen Mannes, so Mitte zwanzig, der sich irgendwas auf seinem Telefon anschaute. Sehr rücksichtsvoll sogar, dachte ich, denn er benutzte Kopfhörer und ich könnte in Ruhe lesen. Wir saßen auf einem Viererplatz und ich hoffte, dass er mich doch nochmal kurz bemerken würde, denn drei von vier Plätzen nahm ganz selbstverständlich er ein und ich wurstelte meine Beine irgendwie unter meinen Sitz und balancierte zwei Taschen und ein Buch auf den abgeknickten Knien. (Dass da auch noch ein Schwangerschaftsbauch Platz finden musste, zähle ich schon gar nicht.) Der junge Mann hingegen hatte leichtes Gepäck, aber sehr, sehr breite Schultern und wirklich unfassbar lange Beine – so dachte er zumindest, denn der Gute lag schon halb und merkte nicht, dass das hier irgendwie eine fast slapstickhafte Situation wurde. Nachdem ich lange – viel zu lange – darüber nachgedacht hatte, ob ich ihm jetzt doch mal, ganz aus Versehen und sachte, vors Schienbein oder auf den Fuß trete, stand er auf, nickte mir freundlich zu und setzte sich auf einen komplett leeren Vierersitz – wohl weil ich zu viel Platz weggenommen hatte…
Theorie und Praxis
Später mailte ich dann mit einer Kollegin, die auch an der Uni arbeitet, allerdings an einer anderen. Wir tauschten uns über verschiedene berufliche und private Entwicklungen der letzten Monate aus und waren in einem Punkt sehr einig: In letzter Zeit nimmt die Toleranz gegenüber verschiedensten Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern rapide ab, denn es hat sich ein gewisses Sättigungsgefühl eingestellt, das ich für völlig fehl am Platze halte. Frauen würden doch mittlerweile alle möglichen wichtigen und verantwortungsvollen Posten besetzen, auch für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf würde viel mehr getan und bei den jungen Studierenden gäbe es dafür auch das entsprechende Bewusstsein. Es sei sogar so, dass mittlerweile die Männer kaum eine Chance auf eine bestimmte Stelle hätten, wenn sich auch nur eine Frau unter den Bewerbern befände. Dass das Märchen sind, ist hoffentlich klar, denn schaut man schlicht auf die Zahlen, dann gibt es zwar durchaus Fächer, in denen Frauen breit vertreten sind, aber es gibt immer noch so, so viele Baustellen, die hier geflissentlich übergangen werden und die weit über den Alltag an Universitäten hinausragen. Ich habe den Eindruck, dass sich zwischen dem, was theoretisch über Gleichstellung und Feminismus (hah, das böse Wort ist gefallen) geschrieben wird und dem, was im täglichen Handeln davon umgesetzt wird, noch immer eine enorme Kluft auftut. Das fängt bei jungen Studierenden an, die die Diskussionen über Frauenrechte nicht mehr hören können, weil sie selbst das Gefühl haben, dass das Thema sie nicht (mehr) betrifft, möglicherweise weil sie selbst noch nie auf Schwierigkeiten gestoßen sind oder das zumindest glauben. Und es kann ja durchaus sein, dass zu Hause auch der Papa mal die Spülmaschine ausgeräumt hat und alle Lehrer nett waren, aber ist das tatsächlich ein Grund sich auszuruhen? Nein, denn spätestens wenn diese jungen Menschen in ein paar Jahren Eltern werden, werden sie mit ganz elementaren Fragen konfrontiert werden und vor allem auch mit hässlichen, nackten Zahlen: Ungleichen Gehältern, Arbeitszeitverteilung, Sorgearbeit und besonders auch Müttermythen darüber, dass (kleine) Kinder nur behütet und geschützt gedeihen können, wenn es die eigene Mutter ist, die sich Tag und Nacht kümmert: „Männer haben halt diesen Instinkt nicht.“, „Mütter wissen sowas einfach“ – das sind Sätze, die mich schlicht wahnsinnig machen, auch vor Bewunderung, denn würde ich lieber weiter ins Büro gehen und meine Karriere vorantreiben, dann hätte ich kein besseres Versteck, als hinter solch einem Quatsch, der sich seit vielen Jahrhunderten in den Köpfen festgesetzt hat. (Und der noch dazu radikal konservativen Abstammungs-, Vererbungs- und Familienidealen den Weg ebnet.) Natürlich – das wird hier in keiner Weise bestritten – gibt es ein besonderes Band zwischen einem Kind und der Frau, die es ausgetragen, zur Welt gebracht, gestillt oder nicht gestillt hat, aber dieses Band besteht nicht aus Genen und aus Blut, sondern aus Liebe und Wärme und die hat auch mein Mann zu Hauf. Er weiß genauso gut wie ich, dass, wenn die Kinder sich auf diese oder jene Weise verhalten, irgendwas im Busch ist, eine Krankheit sich ankündigt und einfach viel mehr Zu-Hause-Zeit und kuscheln ansteht. Klar, meine Situation ist in dieser Hinsicht Luxus, denn mein Mann ist Freiberufler und kann sich seine Zeit selbst einteilen. Aber das ist nur auf den ersten Blick eine Entscheidung des Schicksals, denn eigentlich ist es seine und meine Entscheidung und das jeden Tag aufs Neue. Auch er hätte ständig Jobs annehmen können, die ihn wochenlang hätten reisen lassen, hätte sich und mir vormachen können, dass er unersetzbar ist, aber wir haben schlicht auf viel, viel Geld verzichtet, damit wir beide beides tun können, nämlich bei den Kindern sein und arbeiten.
Vereinbarkeit – die alte Leier…
Und hier liegt das große Problem: So viele Frauen, die gut ausgebildet sind, arbeiten nach der Geburt der Kinder nicht mehr oder nur in Teilzeit und ich kann total verstehen, dass das so ist, denn zwei Vollzeit arbeitende Menschen und kleine Kinder, das ist eine Zerreißprobe, die an die Substanz geht und wenn man keine Hilfe hat, auch gerne mal darüber hinaus. Und genau deswegen braucht es Arbeitszeitmodelle, die passen, und die Allroundlösung ist NICHT allein das Home-Office, denn ganz ehrlich: Ich bin nach der Geburt meines dritten Kindes nach zwei Monaten Elternzeit zurück in den Vollzeit-Job gegangen und wie viele brillante Texte habe ich wohl geschrieben, während mein Baby friedlich neben mir schlief und die Heinzelmännchen für uns einkauften und das Chaos um uns herum beseitigten?
Alles, was ich hier anspreche, sind wahrlich keine neuen Erkenntnisse, aber es ist mir ganz wichtig, dass Frauen schon früh begreifen, dass ‚you can have it all‘ nicht sein muss, aber man kann Teile vom Kuchen haben, wenn man besonnen darüber nachdenkt, wie man das Ganze angeht und vor allem wenn man ganz früh offen mit seinem Partner darüber spricht, dass auch er das Ich-sehe-die-Wollmäuse- und-entferne-sie-Gen in sich trägt (oder merkt, dass die Kinder neue Hosen brauchen, dass man zum Kindergeburtstag Geschenke mitbringt oder in diese dusseligen Freundebücher für Kindergartenkinder schreibt). Allzu oft erlebe ich Frauen, die sich GERNE zerreißen und die die eigene Legitimation als Super-Mum genau daraus herleiten, dass sie sich ständig zu viel aufhalsen (nachts noch Kuchen für den Basar gebacken… schlaf‘ doch bitte lieber!) und die über ein engelsgleiches Verständnis ihrem Mann gegenüber verfügen, denn wenn er den ganzen Tag im Büro war, dann muss er sich abends ausruhen. Muss er nicht! Muss er nicht, wenn Du es nicht auch tun kannst, denn ein Tag mit kleinen Kindern und Haushalt ist um ein Vielfaches anstrengender als jeder Bürotag, den ich erlebt habe, und ich kenne beides in ausführlicher Fassung. Junge Frauen brauchen den Ehrgeiz, dass sie trotz teils beschissener Umstände weiterarbeiten, auch wenn die Arbeit anders aussieht als vor den Kindern. Was nicht passieren darf ist – und ich bin seit etwas mehr als 2 Monaten bei Instagram und kann jetzt mitreden – , dass man nur noch für die Kinder lebt (welcome to the 50ies), von einem Bastel- und Feiertagsevent zum nächsten denkt und zwischendrin aufhört, was zu sagen, was zu meinen, was zu denken. Guckt Nachrichten, auch wenn es weh tut, lest Zeitung und Bücher, bleibt in der Welt und nicht nur in der Pekip-Gruppe. Selbstverständlich sind auch meine Kinder mir das allerliebste und wichtigste auf der Welt und ich mache noch nicht einmal mehr Reisen, die länger als 2-3 Tage sind, weil ich da sein will, wenn sie schlafen gehen. Ich bin nämlich total weich und muss mich zu vielem auch zwingen, weil auch ich dünnhäutig geworden bin und mir so viele Dinge, die schwer zu ertragen sind, nicht mal mehr vorstellen mag, aber wir sollten es tun, denn sie sind da und wir sind die Privilegierten, die hinschauen müssen. Lange Zeit war ich der Überzeugung, dass Blogs und alle Formen sozialer Medienvernetzung genau dieses Frauenbild noch verfestigen und dass die ‚Erbastelung‘ eines wunderschönen Zuhauses und der Rückzug in das Ideal der Kleinfamilie manchmal auch ein Ersatz für die fehlende Erfüllung sind, denn die gibt es ja nun mal auch im Job. Und natürlich gibt es genau solche Blogs tatsächlich, aber es gibt auch so viele andere, die ich lese, bewundere und wirklich toll finde, was da passiert, denn hier geschieht sinnvolle Vernetzung, gegenseitige Wertschätzung, Verständnis und Unterstützung finden statt und manchmal entsteht tatsächlich auch ein kleines Business und die Frauen bloggen beruflich – daran ist, so finde ich jetzt, überhaupt nichts Verwerfliches, denn hier entsteht schreibend richtig gute Arbeit und die sollte bezahlt werden. (Damit meine ich aber durchaus keine Dauerwerbung mit den eigenen Kindern als immer lächelnden Models!)
So lange ich weiterhin Konferenzen besuche, bei denen exzellente Professorinnen mit hochgezogenen Schultern ins Mikrofon flüstern und dann während der anschließenden Fragerunde vor allem durch Schüchternheit oder Koketterie auffallen, so lange bleibt es wichtig zu betonen, dass wir noch lange nicht durch sind mit den Debatten um Rollen und ihre Manifestation in Beruf und Alltag. Frauen machen sich weiterhin klein, weil körperliche Breite nie ein weibliches Ideal war, genauso wie laut sein, bestimmt sein oder wütend werden weiterhin Attribute sind, die sich nicht mit Weiblichkeitsvorstellungen vereinbaren lassen, insbesondere dann nicht, wenn aus Frauen Mütter werden. Gleichzeitig im deutlich besser besuchten Konferenzraum nebenan: Der Vortrag eines mittelmäßig gut schreibenden Mannes, der laut und deutlich und mit Inbrunst vorträgt, wovon er überzeugt ist. Und weil er davon überzeugt ist und sich die Geschichte des eigenen Erfolgs selbst so, so viele Male erzählt hat, glaubt er felsenfest an das eigene Genie und damit auch alle anderen. Was ich also eigentlich sagen möchte, heute am Weltfrauentag, ist das: Wenn ihr die Wahl habt, euch kleiner oder größer zu machen, als ihr zu sein glaubt, nehmt immer die größere Variante – wir wachsen da schon rein!