Gestern Mittag stand ich eine Weile vor unserer Haustüre. Eigentlich wollte ich nur meinen großen Sohn verabschieden, der gerade noch sein Fahrrad aus der Garage holte. Aber dann kam zufällig der Paketbote vorbei und anschließend eine Nachbarin, die ich lange nicht gesehen hatte. Ich stand also weiterhin draußen vor der Tür und als ich eine Viertelstunde später wieder ins Haus trat, dachte ich darüber nach, was für ein vertrautes Bild das ist: eine Frau steht vor einer Tür und wartet. Sie ist allein, sie verabschiedet jemanden, sie schaut und winkt oder sie nimmt etwas oder jemanden in Empfang, erhält kurz Gesellschaft und schaut wieder. Ein Gedanke folgte dem nächsten und schließlich dachte ich über Türen im Allgemeinen nach. Türen begrenzen oder eröffnen etwas und wir durchschreiten, schließen und öffnen natürlich jeden Tag zahlreiche von ihnen, also gibt es unzählige Gründe, um darüber nachzudenken, was Frauen und Türen speziell verbindet.
Wenn die Tür geschlossen ist, dann können wir sie vielleicht öffnen, aber dazu braucht es meist ein Hilfsmittel. In der Regel ist das ein Schlüssel oder eine Abwandlung davon, denn auch ein Zahlencode, eine Zauberformel oder der richtige Fingerabdruck sind im Grunde nichts anderes als Varianten eines Schlüssels. Doch bevor wir eintreten, machen wir uns womöglich Gedanken darüber, was hinter einer Türe liegt. Ein Zuhause, das Schutz und Sicherheit verspricht, oder etwas Unbekanntes? Eine Airbnb-Unterkunft, die doch ganz anders aussieht als auf den vorab angeschauten Fotos oder ist es gar der blanke Horror, der uns hinter einer Tür erwartet? Wir zaudern womöglich und sind nicht sicher, ob wir die Schwelle, mit der die Tür immer auch verbunden ist, überhaupt überwinden wollen, aber oft bleibt letztlich keine Wahl. Oder umgekehrt: Wir befinden uns in einem Innenraum und wollen/müssen/sollten unbedingt hinaus, können aber nicht. Auch Szenarien des Eingesperrtseins sind stets mit verschlossenen Türen verbunden, ganz klar also, dass der Durchgang eine Grenze markiert. Vielleicht befinden wir uns auch schlicht drinnen und jemand anderes möchte eingelassen werden oder verschafft sich gegen unseren Willen Zutritt. (Nein, ich habe nicht kürzlich nochmal „Shining“ gesehen, aber was da mit Türen passiert, vergisst man nicht so leicht…)
An Zimmertüren befinden sich Aufschriften, damit wir uns orientieren können, uns willkommen geheißen fühlen oder gewarnt sind, dass wir gerade dort nicht eintreten dürfen. Manche Türen werden bewacht, weil zu wertvoll scheint, was dahinter liegt, oder weil man ‚passend‘ erscheinen muss, um eingelassen zu werden. Eventuell braucht es eine spezielle Ausrüstung, angefangen bei der richtigen Kleidung, oder ein eigens für das Öffnen der Türe angeeignetes Wissen, denn wenn sich die Schiebetür des Hubschraubers öffnet, ist es besser zu wissen, wie der Fallschirm aufgeht.
Vor Türen warten…
Verbunden mit Türen ist das Warten. Manchmal zieht man dazu eine Nummer und die fremde Person, die hinter der Tür nicht gerade auf uns wartet, kann per Formular über Schicksale entscheiden. Oder wir haben es sehr, sehr eilig, dass sich Türen öffnen, dann nämlich, wenn die Wehen stark und regelmäßig sind und dahinter der Kreißsaal liegt, dessen Türe uns dann hoffentlich offen steht und nicht wegen Überlastung oder Überbelegung verschlossen bleiben muss. Türen kann man aufschließen, aufdrücken, manche aufschieben oder es braucht gar keinen Handkontakt, wenn alles automatisiert abläuft. Drehtüren in Hotels als sichtbare Zeichen des Kommens und Gehens oder auch – in der elektronischen Fassung – als Geduldsprobe im Möbelhaus. Türen können aus den verschiedensten Materialien bestehen und manchmal kann man durch sie hindurchsehen und weiß, was auf der anderen Seite der Schwelle liegt, kann es aber doch nicht erreichen. Oder man hört und ahnt nur, was hinter Stahl, Holz oder Milchglas verborgen ist. Zusätzliche Vorhänge erschweren die Sicht und manchmal braucht es Kraft oder besonderes Geschick, um eingerostete Scharniere zu bewegen. Wir leben, arbeiten, wir lieben, erziehen, lesen, kochen, schlafen und gebären hinter Türen, die manch einer nur geschlossen, der andere nur offen ertragen kann. Wenn wir wütend sind, können wir sie zuschlagen, haben wir ein Geheimnis oder einen Plan, dann können wir sie so leise wie möglich zu bedienen versuchen. Wir fotografieren Türen und bewundern kunstvolle Verzierungen und ich denke auch an die Orte, die uns gerade deswegen als so unbeschwert, frei und schön in Erinnerung bleiben, weil es keine Türen gibt, die das, was wir dort sehen, einschränken. Es sind offene Orte, wie der Strand oder der Wald, die Landschaft oder die Natur im Allgemeinen (was immer das dann konkret heißen mag), die wir manchmal für Tätigkeiten nutzen, die sonst ganz traditionell drinnen stattfinden und diese Entgrenzung wird als besonders erlebt. Draußen sein, essen und trinken, feiern und kochen, duschen und schwimmen, für all das haben wir Türen geöffnet und brauchen anschließend und wie zur Belohnung doch erstmal keine.
Manche Klinken will man nicht herunterdrücken, aber man muss, denn dahinter liegt das Abitur, der Führerschein, der Studienabschluss. Wenn es stürmt, dann rüttelt es an Türen und manchmal regnet es auch rein. Türen haben Öffnungen für Briefe, die dann der Hund frisst, oder Klappen für Katzen, durch die in Filmen immer ganz Furchtbares ins Haus gerät. Türen symbolisieren Anfänge, Übergänge und Enden zugleich, besonders dann, wenn das, was dahinter liegt, nach oben oder gar nach unten führt. In der Serien-Adaption von Margaret Atwoods „Alias Grace“ geschieht das Ungeheuerliche – der Vorlage getreu – im Keller und es gibt eine Bodenklappe, die sich immer wieder von Geisterhand zu öffnen scheint. Liegt genau dort die Antwort, der eigentliche Schrecken oder ist der Clou, dass wir, wenn wir dort ankommen, letztlich nur mit uns selbst konfrontiert werden? Türen sind klassische Erzählelemente und aus psychoanalytischen Schriften kaum wegzudenken, denn wer in den Keller oder unter das eigene Dach steigen will, muss entschlossen sein und zum Öffnen bereit.
Zugang als Privileg
Für Frauen gab es lange Zeit nur eine eingeschränkte Auswahl an Türen, die sie selbstständig öffnen durften und die waren meist im Haus der Familie angesiedelt. Für manch eine Dame schickte es sich natürlich nicht, die Türe selbst zu öffnen und andere hätten dies nur allzu gern getan, durften aber nicht. Die Türen der Amtsstuben und Büros, der Händler und Geschäfte, der Ärzte und Spitäler waren nicht für ihre Hände vorgesehen und zahlreiche Räume blieben (und bleiben) dem weiblichen Zutritt verschlossen. Räume des Glaubens, der Zusammenkunft, der Männerbündnisse oder auch der Hörsaal mit der Physik-Vorlesung, die weiterhin wenige Frauen besuchen (möchten). Die Türen von Fortbewegungsmitteln öffneten lange Zeit ebenfalls die anderen; nicht nur damals, als noch Gustave Flauberts Emma Bovary in der Kutsche saß. Auch Carrie Bradshaw lässt sich noch gerne Limousinentüren öffnen und mit Geschichten von Frauen, die Autorennen fuhren, als andere noch überhaupt nie ein Automobil gesehen hatten, oder die demnächst vielleicht ins All fliegen, sind Türen und Privilegien verbunden, die sich ihnen im übertragenen wie konkreten Sinne öffnen müssen.
Die meisten Türen, die wir heute im Alltag öffnen und schließen, lassen wir schnell hinter uns und vergessen sehr bald, dass wir durch sie hindurchgegangen sind. Doch es gibt Türmomente, die ich nie vergessen werde: Das Warten vor ganz bestimmten Bürotüren, vor Schleusen im Krankenhaus, insbesondere vor Zimmern auf der Intensivstation, vor der (verschlossenen) Haustür eines Freundes oder auch vor dem Kindergarten, wenn man sein Gerade-Noch-Baby dort eingewöhnt… Was waren Eure unvergessenen Türmomente und welche speziellen Verbindungen von Frauen und Türen gibt es noch, denn es sind mit Sicherheit noch so viele mehr…
Ich freue mich sehr über Eure Kommentare und schließe jetzt schleunigst die Bürotür hinter mir und öffne die des Hauses, da ich reichlich spät dran bin…
Eure Simone