Eine überaus unwahrscheinliche Liebesgeschichte
Wenn ein neues Buch von einer Autorin erscheint, die du als eine deiner Lieblingsschriftstellerinnen bezeichnen würdest, dann macht das die Lektüre nicht unbedingt einfacher. Die Erwartungen sind hoch und dem Vergleich mit seinen Vorgängern wird es sich auch unweigerlich stellen müssen.
Aber die nordirische Schriftstellerin Maggie O‘ Farrell (*1972) hat mich bisher nie enttäuscht, daher habe ich mir ihren neuen Roman „Hier muss es sein“ auch für einen besonders guten Moment aufgehoben. Und der kam neulich …
In „Hier muss es sein“ geht es um den amerikanischen Sprachwissenschaftler Daniel und die weltberühmte Schauspielerin Claudette, die der Zufall irgendwo in Irland zusammenführt. Die Begegnung des ehemaligen Frauenhelds mit der wunderschönen Claudette Wells ist dabei im Grunde komplett unwahrscheinlich, denn Claudette gilt seit geraumer Zeit als vermisst, wenn nicht gar als tot.
In Worten verheddert
Doch da steht sie: gemeinsam mit ihrem Sohn Ari, der sich so in seinen Worten verheddert, dass er kaum welche herausbekommt. Aber Daniel weiß, was er dem Jungen sagen kann, um ihm aus diesem Schlamassel herauszuhelfen. Claudette ist beeindruckt und möchte Daniel als Lehrer für ihren Sohn gewinnen und da Daniel sich nahezu augenblicklich in Claudette verliebt, steht einer gemeinsamen Zukunft erstmal nichts im Wege.
Doch die Beziehung einer äußerst populären Verschwundenen mit einem Mann, der noch nicht mit allen Kapiteln aus seiner Vergangenheit abgeschlossen hat, verläuft alles andere als gradlinig. Auch, weil das Leben sehr heftig dazwischen funkt.
Zunächst skeptisch
Ich war zunächst skeptisch, ob diese beiden Figuren mich wirklich für sich einnehmen könnten. Auf Anhieb sympathisch waren sie mir nämlich nicht, doch das sollte sich im Verlauf der Erzählung ändern, denn Claudette ist weit weniger exzentrisch, als es zu Beginn den Anschein hat. Daniel hingegen hat mich am allermeisten in seiner Rolle als Vater überzeugt und von dem Moment an, als ihn das Schicksal am härtesten trifft, war ich vollends an seiner Seite.
Claudette und Daniel leben also ihr Leben. Sie bekommen gemeinsame Kinder, aber da sind ja auch noch die Kinder in Amerika, ein Junge und ein Mädchen, aus Daniels erster Ehe. Dennoch scheint alles sich gut zu fügen, bis erneut etwas ungeheuer Unwahrscheinliches geschieht, dieses Mal handelt es sich dabei aber um eine Tragödie.
Ständig neue Figuren
Spannend ist an Maggie O‘ Farrells Aufbau des Romans, dass ständig neue Figuren auftauchen, denen einzelne Kapitel gewidmet sind. Ich war zur Mitte dieses doch recht umfangreichen Buches noch skeptisch, ob sie es schaffen würde, all diese Figuren mit der Geschichte von Daniel und Claudette zusammenzuführen, aber es gelingt ihr gar nicht erst am Ende, sondern mit jedem einzelnen Kapitel mehr.
Durch jeden weiteren Weggefährten, dessen Geschichte mit Daniels und/oder Claudettes Leben verbunden ist, wird der Roman vollständiger und nimmt immer klarere Formen an.
Da sind die Geschichten aus der Studienzeit, die Perspektiven der Kinder oder die herzzerreißende Liebesgeschichte zwischen Daniels Mutter und einem Unbekannten, die sich während Daniels Kindheit abspielt. Aber da ist auch die ältere Dame, die Daniel und sein Sohn Niall unter erneut ganz unwahrscheinlichen Bedingungen am ‚reinsten Ort der Welt‘ kennenlernen und noch so einige mehr.
Viel zu souverän
Maggie O’Farrell ist einfach eine viel zu souveräne Erzählerin, um sich in Perspektivwechseln zu verlieren und auch der rote Faden der Geschichte geht ihr nie verloren, wenn sie immer weiter ausbreitet, wie verwoben und verwachsen unsere Leben doch mit denen so vieler anderer Menschen sind.
Auch dieses Mal hat Maggie O‘ Farrell mich nicht enttäuscht – ganz im Gegenteil! Ich habe den Roman (ab der Mitte) immer mehr und mehr genossen, sodass ich am Ende ein Buch in meinen Händen hielt, das ich noch lange nicht gehen lassen wollte.
Große Empfehlung für alle, die richtig gute Geschichten mögen, die sich im Laufe des Erzählens verwandeln und denen nichts, was menschlich ist, fremd erscheint.
Weitere Romane von Maggie O‘ Farrell, über die ich hier auf dem Blog und auf Instagram geschrieben habe, sind: „Judith und Hamnet“ und „Porträt einer Ehe“.
Maggie O‘ Farrell: Hier muss es sein. Roman. Aus dem Englischen von Kathrin Razum. Piper Verlag. ISBN:978-3-492-05870-4 Preis: 26,00.