(Werbung, da Rezensionsexemplar)
Elif Shafak ist eine fantastische Erzählerin. Sie verbindet Zeiten und Räume, Kulturen und Figuren, die sich fremd zu sein scheinen, zu einer großen Geschichte, welche am Ende nicht selten eine erstaunliche Offenbarung bereithält.
Auch ihr aktueller Roman „Das Flüstern der Feigenbäume“ erzählt aus verschiedenen Zeiten und Perspektiven und spielt auf Zypern und in London. Im Mittelpunkt des Geschehens stehen Defne und Kostas, die sich ineinander verliebt haben, obwohl sie das nicht sollten. Denn Defne ist Türkin und Kostas ist Grieche, sie leben in den 1970er Jahren auf Zypern und geraten in die Wirren des Bürgerkrieges.
Geschichte eines zerrissenen Landes
Jahrzehnte später wohnt Kostas mit seiner Tochter Ada in London. Vater und Tochter haben sehr schwierige Monate hinter sich, denn Defne lebt nicht mehr. Was in der Zwischenzeit geschah, ist die Geschichte eines zerrissenen Landes, einer Insel, die zu einem Mikrokosmos von Konflikten geworden ist, die es in verwandter Form überall auf der Welt gibt und gegeben hat. Eine Insel, die geteilt wird und die kulturell-geographische Herkunft ihrer Bewohner:innen, die darüber entscheidet, ob ein Mensch in den Augen der anderen ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ ist.
Inmitten all dieser von Menschen gemachten Wirren steht ein Feigenbaum und wird Zeugin von Liebe und Hass, von geflüsterten und laut gerufenen Worten, von Verzweiflung, Hoffnung und Aufbruch. Das Besondere ist, dass diese Feige nicht nur sieht und dokumentiert, sondern selbst zur Erzählerin wird. Denn die Bäume, die Kostas so liebt und denen er seine wissenschaftliche Arbeit widmet, sind keinesfalls stumm: sie kommunizieren mit anderen Pflanzen und Tieren und manchmal auch…
Verbrechen aus Niedertracht
Nun ja, ich will nicht zu viel vorwegnehmen von diesem Buch, das so einiges verbindet: Eine Geschichte von Konflikten und von der besonderen Niedertracht solcher Verbrechen, die aufgrund von Grenzen begangen werden, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass auch Grenzen nur von Menschen gemacht und manchmal vollkommen willkürlich sind.
Diesem Chaos steht die Natur als ruhender und wissender Pol gegenüber, die mit der Welt der Menschen verbunden ist und ihnen so viel erzählen könnte, wenn nur eine:r käme, der genug Ruhe hätte, um zuzuhören.
Eine große Leseempfehlung!
Elif Shafak: Das Flüstern der Feigenbäume. Aus dem Englischen von Michaela Grabinger. Kein & Aber 2021. ISBN: 978-3-0369-5863-7, 512 Seiten. Preis: 25,00 Euro.