Liebe Eva,
Du führst mit „Eva Pilates“ ein Studio in Essen Rüttenscheid. Ich kann mir vorstellen, dass die letzten Monate für Dich beruflich nicht leicht waren. Magst Du erzählen, was Dich vor besondere Herausforderungen gestellt hat und wie Du Lösungen gefunden hast?
Der 1. Lockdown im März 2020 kam von jetzt auf gleich: Sonntagnachmittag wurde beschlossen, dass wir ab sofort schließen müssen. Die Angst und Unsicherheit waren überall sehr groß. Wir haben dann sehr schnell begonnen, Videos zu drehen und auf Youtube zu veröffentlichen, weil ich irgendwie auch meinen kleinen Beitrag dazu leisten wollte, dass jeder für sich was Gutes tun kann. Außerdem konnte ich so meinen Mitgliedern etwas zur Überbrückung bieten. Das hat eigentlich sehr gut funktioniert. Die Wiedereröffnung kam dann schrittweise: erst haben wir via Zoom den Unterricht gestreamt, dann eine Kombi-Lösung angeboten, dann wieder Unterricht vor Ort. Im Sommer waren dann eigentlich wieder alle Kurse ausgebucht, dann kam der nächste Lockdown. Inzwischen sind wir was den Online-Unterricht anbelangt richtige Profis 😉 Aber es ist natürlich nicht jedermanns Sache und so habe ich sowohl während des 1. als auch während des jetzigen Lockdowns mit großen Umsatzeinbrüchen zu kämpfen: Laufende Miet- und Personalkosten auf der einen Seite und zugleich viele Kündigungen und fehlende Einnahmen. Ich versuche optimistisch zu bleiben, schließlich tue ich das, was ich tue, aus voller Überzeugung. Die meisten reagieren sehr dankbar auf unser aktuelles Angebot. Ich greife Wünsche auf und habe z.B. eine speziellen „Homeoffice“ Workout produziert, das zumindest körperlich hilft, die oft schlechten Bedingungen des Homeoffices zu kompensieren.
Warum tut Pilates eigentlich so gut und wem würdest Du es besonders empfehlen?
Pilates tut in vielerlei Hinsicht gut. Zum einen, weil man sich während des Unterrichts voll und ganz auf seinen Körper konzentriert, einfach mal abschaltet. Durch den Einbezug der Atmung wird das Nervensystem beruhigt. Zum anderen schulen wir die Körperwahrnehmung und gleichzeitig trainieren wir die wirklich wichtige, tiefliegende (Rumpf-)Muskulatur. Mein Ziel dabei ist es stets, den Leuten ein Bewusstsein für gesunde Haltung mitzugeben, so dass sie vor allem in alltäglichen Bewegungsabläufen ein Gefühl für gute Bewegung entwickeln. Wenn die Teilnehmer sagen „Und dann höre ich Dich innerlich zu mir sagen „Schultern runter!““, weiß ich, dass wir auf einem guten Weg sind. Anders als beim Yoga steckt beim Pilates keine spirituelle Haltung dahinter, was ich sehr erfrischend finde. Ich will nicht den Menschen verbessern, sondern ihm einfach nur helfen, körperlich gut aus- und aufgerichtet durch den Alltag zu gehen.
Pilates ist tatsächlich für jeden geeignet: meine jüngste Teilnehmerin ist 16 und kommt aufgrund von starken Rückenproblemen, meine älteste Teilnehmerin ist 83 Jahre und möchte einfach fit bleiben. Männer sind leider noch immer eher selten, obwohl der Begründer der Methode – Joseph Pilates – ein Mann war und die Methode tatsächlich auch sehr kraftvoll ist. Und gerade Männer bleiben dann oft besonders lange dabei, weil sie schnell spüren, wie gut es dem Rücken tut 😉
Wie kam es überhaupt dazu, dass Du ein Pilates-Studio eröffnet hast? Wir beide kennen uns ja aus dem Komparatistik-Studium und das ist ja doch eine etwas andere Fachrichtung.
Ja, das ist eine wirklich lange Geschichte… Vor dem geliebten Komparatistik Studium habe ich Bühnentanz an der Musikhochschule in Köln studiert. Dort hatte ich tatsächlich fast täglich Pilatesunterricht. Während des Studiums habe ich dann schon unterrichtet, da es tatsächlich einen anderen Stundenlohn als beispielsweise im Café gab. Nach dem Studium hatte ich Schwierigkeiten, beruflich richtig Fuß zu fassen, hangelte mich von Schwangerschaftsvertretung zu Schwangerschaftsvertretung in verschiedenen kulturellen Projekten. Das Pilates hat mich immer begleitet und so habe ich dann, nachdem ich zuletzt zwei Jahre als Gymnasiallehrerin gearbeitet habe, den Sprung in die Selbständigkeit gewagt. Mit meiner Mutter, die Steuerberaterin ist und einem Gründungsberater an der Seite, war ich von Anfang an gut aufgestellt. Und so bin ich zunächst ein Jahr von A nach B quer durchs Ruhrgebiet gefahren, um dann 2014 ein eigenes Studio mitten im Ruhrgebiet zu eröffnen.
Welche Ausbildung hast Du gemacht, um Pilates unterrichten zu können?
Ich habe wie gesagt schön früh angefangen, leistungsmäßig zu tanzen (Ballett/ Modern), nach dem Abitur habe ich Bühnentanz studiert. Dort hatten wir auch Pilates und Anatomie und ich hatte stets einen großen Wissensdurst, was den menschlichen Körper anbelangt. Ich habe dann eine relativ umfangreiche Pilates Ausbildung bei Pilates bodymotion in Köln gemacht und wenn es mein Terminkalender hergibt, besuche ich weiterhin liebend gern Fortbildungen und habe ständig das Gefühl „Es gibt ja noch soooo viel zu lernen!“ Natürlich habe ich in all den Jahren selbst oft Yoga gemacht und viele andere Methoden wie Feldenkrais, Alexander-Technik etc kennengelernt. All diese Erfahrungen fließen in meinen Unterricht ein.
Was fordert Dich am selbständig sein besonders heraus?
Puh, das ist eine gute Frage! Ich denke, viele praktische Eigenschaften, die die Selbständigkeit erleichtern, bringe ich mit, wie z.B. gute Selbstorganisation und Zeitmanagement, auch Disziplin was die Buchhaltung und die Finanzen anbelangt, Kommunikationsfähigkeit und Freude an Social Media. Was mich oft besonders herausfordert, ist gerade in Krisensituationen wie der jetzigen, nicht das Vertrauen zu verlieren. Viele, die in meinem Beruf unterwegs sind, sind Einzelkämpfer und wuppen alles alleine. Mir war klar, dass das nicht mein Weg ist und somit war mir von Anfang an ein gutes Team sehr wichtig. Eine richtig große Enttäuschung war dann, als sich eine Trainerin von mir, die ich seit 6 Jahren aufgebaut hatte, sich hinter meinen Rücken 400m von meinem Studio entfernt selbständig gemacht hat. Manchmal nehmen mich auch Kündigungen von Teilnehmern, die mir über die Jahre ans Herz gewachsen sind, sehr mit. Dann wünsche ich mir eine etwas professionellere Haltung und etwas mehr emotionalen Abstand zu dem, was ich tue.
Findest Du in Deinem jetzigen Alltag überhaupt noch Zeit für die Literatur und das Lesen?
Ja natürlich! Lesen gehört zu meinem Leben seitdem ich ein kleines Kind bin und so lese ich wenigstens abends vor dem Schlafengehen ein paar Seiten. Inzwischen leider auf dem tolino (kein Vergleich zu einem richtigen Buch!), da ich in einem Zimmer mit meinem 3jährigen Sohn schlafe. Richtig großer Luxus ist, wenn ich mal einen freien Tag habe, in ein Buch voll und ganz abzutauchen. Das genieße ich dann wirklich sehr!
Hast Du einen Buchtipp für uns – denn ich habe immer sehr bewundert, wie Du über Bücher gesprochen und nachgedacht hast!
Welches Buch mich zuletzt sehr berührt hat, war: „Sag den Wölfen, ich bin Zuhause“ von Carol Rifka Brunt. Einfach mal ein ganz anderer Plot, so einfühlsam und schön geschrieben. Dann liebe ich natürlich alles von Haruki Murakami und in der letzten Zeit habe ich Juli Zeh für mich entdeckt. Spät, ich weiß… Ich brauche auch immer etwas Pause davon, wenn ich ein Buch von ihr zu Ende gelesen habe, aber ich finde ihre Geschichten wirklich phantastisch. Oft beklemmend, eigentlich keine gute Gute-Nacht-Lektüre, aber unglaublich scharfsinnige Beobachtungen.
Du bist ja nicht nur selbständig, sondern auch Mutter eines Sohnes. Wie funktioniert Vereinbarkeit aktuell für Dich?
Ehrlich gesagt vermutlich besser als für viele andere. Dadurch, dass ich alleinerziehend bin, musste ich mir ein gutes Netzwerk aufbauen, auf das ich jetzt zurückgreifen kann. Da ich mein Pilates Studio weit vor der Geburt meines Sohnes eröffnet habe, musste ich mich erstmal umstellen. Die Prioritäten haben sich natürlich verschoben und ich kann nun nicht mehr jeden Abend unterrichten. Für meinen inneren Frieden ist es wichtig, dass Beruf und Familie (auch wenn sie sehr klein ist) im ausgewogenen Verhältnis zueinanderstehen. Bin ich ausschließlich Mutter, werde ich schnell unzufrieden und unterrichte ich zu viel und verbringe zu wenig Zeit mit meinem Sohn, gilt das gleiche. Matteo, mein Sohn, ist übrigens ein großer Fan meiner Pilates-Videos und turnt diese gerne nach – zu süß!
Kannst Du uns erzählen, wie so ein ganz ‚normaler‘ Arbeitstag für Dich ausschaut?
In der Regel gehe ich das erste Mal durch meine Social Media Kanäle inklusive Emails und WhatsApp noch während ich morgens den ersten Kaffee im Bett trinke (und Matteo mit Kakao daneben liegt und eine Geschichte auf der Toniebox hört). Wenn Matteo dann in der Betreuung ist, bin ich im Studio und habe ein paar Vormittagskurse wie auch viele Personaltrainings. Nach dem Mittagessen hole ich Matteo dann aus der Betreuung ab und verbringe den Rest des Tages mit ihm. Ein- bis zweimal in der Woche unterrichte ich abends Kurse und habe dann eine Babysitterin für Matteo. Mein Handy ist eigentlich mein ständiger Begleiter, um erreichbar zu sein für die Kunden, wie auch für die Trainer. Samstagvormittag unterrichte ich im Normalfall auch Personaltrainings und/oder Workshops. Buchhaltung, Aktualisierung der Internetseite, Workshop-Planung, Kundenakquise, Anfertigen eines Newsletters, Beiträge für Instagram usw. findet alles nebenher statt, oft wenn Matteo im Bett ist oder wenn ich mir mal einen Vormittag freigeschaufelt habe.
Was wünscht Du Dir für die nächsten Monate und gibt es weitere Pläne für Dein Studio?
Was mich gerade wirklich stresst ist die Tatsache, dass sich nichts wirklich langfristig planen lässt. Ich weiß nicht, wann und unter welchen Auflagen ich mein Studio wiedereröffnen darf. Insofern konzentriere ich mich momentan auf meine Online Angebote, habe viele Kurse und auch Workshops in der Planung. Ich spiele mit dem Gedanken, auch langfristig und coronaunabhängig Onlinekurse anzubieten, da ich inzwischen die vielen Vorteile zu schätzen weiß, so können z.B. auch alleinerziehende Mütter problemlos am Unterricht teilnehmen oder Ärzte, die im Bereitschaftsdienst sind oder, oder, oder… Schön wäre es also, das Online-Angebot weiter auszubauen und (technisch) vielleicht auf etwas professionellere Füße zu stellen. Auch schön wäre es, wenn es weniger Fluktation unter den Teilnehmern geben würde und stattdessen etwas mehr Ruhe und Beständigkeit einkehren würde.
Privat freue ich mich sehr auf meine Mutter-Kind-Kur, die ich mit Matteo im Frühjahr für 3 Wochen antreten werde, denn natürlich ist Erschöpfung mein ständiger Begleiter. Aber das kennt bestimmt jede Mama :).