(Anmerkung: Wer über (teils fehlgeleitete) Telefonate in literarischen Texten etwas lesen möchte, findet hier drei Vorschläge, die ich einfach abfotografiert habe und erstmal unkommentiert lasse.)
Ich bin alt genug, um noch diese dunkelgrünen Telefone mit Wählscheibe zu kennen. So eins stand bei meiner Oma im Flur und es gruselte mich immer dorthin zu gehen, was nicht am Telefon, sondern an dem Bild darüber lag: Ein Relief mit seltsam lebensecht wirkenden Stadttauben und mir ist bis heute nicht klar, warum eine Frau, die, wenn sie über die Basarstraße in Duisburg Meiderich spazierte, über jede Taube schimpfte, sich die dann auch noch freiwillig in die Wohnung holte. Aber es gibt nun mal Rätsel, die nicht dafür da sind, um gelöst zu werden, und so eins ist wohl auch meine Beziehung zu Telefonen. Ich hasse sie und hab doch ständig eins in der Hand. Und das kam so:
Damals als Schülerin in den 90ern konnte ich es gar nicht erwarten, von der Schule nach Hause zu kommen, denn dann griff ich meist sofort zum Telefon, um meine beste Freundin anzurufen. Wir hatten zwar gerade erst sechs Stunden nebeneinander gesessen und uns zahlreiche Zettelchen geschrieben, aber seither war so viel passiert… Wir waren Schulbus gefahren, irgendwer hatte uns zwei Sekunden zu lang (oder zu kurz) angeguckt, im Vorbeigehen an der Schulter gestreift oder – OMG – nach einer Zigarette gefragt. Wir telefonierten so lange, bis es Zeit war aufzubrechen, denn am Nachmittag waren wir ja noch verabredet und das selbstverständlich miteinander. Unser Telefon war also dauerhaft besetzt und meine Mutter wurde fast wahnsinnig deswegen. Der Tag, an dem die Telefonrechnung kam, war immer ein echter Unglückstag, denn Telefonieren war ja bekanntlich nicht umsonst, sondern konnte richtig teuer werden…
Als ich dann mein erstes Handy bekam, war ich die erste in meiner Klasse und fand das schwere und sehr unhandliche Teil nicht besonders interessant. Mein Vater hatte es von einem Geschäftskunden geschenkt bekommen und ich sollte es für Notfälle bei mir tragen. Einfach so damit zu telefonieren war undenkbar, weil viel zu teuer, und SMS konnte ich eh keine schreiben, da ja außer mir noch keiner so einen Backstein mit sich herumtrug. Aber die Telefone wurden schnell kleiner, wesentlich günstiger und bald drehte sich alles um Klingeltöne und ums Karten aufladen, denn wenn das Guthaben aufgebraucht war, musste man eben doch auf die Telefonzelle ausweichen und das passierte nicht selten.
Pandemie in der Telefonzelle
Apropos Telefonzellen: Ich habe Stunden in ihnen verbracht und bekomme sofort einen Gänsehautschauer auf dem Rücken, wenn ich daran denke, wie der noch warme Hörer roch, in den gerade erst jemand komplett fremdes gesprochen, geatmet und was-weiß-ich-nicht-noch-alles getan hatte… (Wie wäre es uns mit der Pandemie im Zeitalter von Telefonzellen wohl ergangen?) Denn von hier aus konnten wir anonym irgendwo anrufen, wir waren windgeschützt und wurden nicht nass und irgendwie war es erst besonders muckelig, wenn man – selbstverständlich rauchend – zu viert in dem gelben Kasten stand. Man war irgendwie mittendrin und doch etwas abgetrennt von der Stadt und das Öffnen und Schließen der Türe, das Herunterfallen der Münzen oder das Stecken der Telefonkarten waren gute Geräusche, deren Sound ich auch viele Jahre später vermisse.
Schnell wurden die Telefone auch danach wieder kleiner, die Funktionen ausgeweitet und eine Zeitlang ging es hauptsächlich um die Kamerafunktion neuer Handys. Das muss ungefähr der Zeitpunkt gewesen sein, zu dem ich mich verweigerte, denn mich nervte diese Omnipräsenz alles knipsender Leute und dabei hatte ich ja nicht die geringste Ahnung, was da noch kommen sollte… Ich kaufte mir bewusst ein damals schon altes Nokia ohne Kamera und ohne zusätzlichen Schnickschnack und trotzdem weiß ich noch zu genau, was es bedeutet, tagelang auf ein Display zu starren, auf dem sich der kleine Brief als Eingangssymbol einer SMS einfach nicht zeigen will, weil ER diese eine, so ersehnte Nachricht einfach nicht schrieb.
StudiVZ und erstes Stalking (mit Augenschmerzen)
Ich meldete mich bei StudiVZ an und wartete von Mal zu Mal ungeduldiger die 5 Minuten ab, die unser Router brauchte, um sich ins Internet einzuwählen, und ich klickte mich durch unzählige schlechte Handyfotos, um eine Party zu stalken, die ich nicht besucht hatte, ER aber schon. Die ersten Smartphones wanderten in die Taschen meiner Freunde und schließlich in ihre Hände und mich schockierte wirklich, dass sie diese gar nicht mehr zu verlassen schienen. Ich konnte nicht fassen, wie viele Stunden am Tag man damit verbringen konnte, irgendeinen Stuss in sozialen Medien anzuschauen und zu kommentieren, sich dabei einen steifen Nacken zu holen und nicht zu merken, dass man kaum etwas von dem, was einen direkt umgab, mehr mitbekam.
Ich hatte immer noch mein altes Nokia, aber ich hatte auch ständig kein Netz, musste für alternative Fahrpläne (denn einen Führerschein hatte ich auch nicht) immer jemanden anrufen, der dann in sein Smartphone schaute, und auch ich bekam vieles nicht mit – das meiste war mir zwar (wahrscheinlich) egal, aber irgendwann nervte es mich doch, dass ich für jede Mailabfrage warten musste, bis ich zu Hause meinen Computer anschmeißen konnte und so öffnete ich die Büchse der Pandora Jahre verspätet, aber ich öffnete sie… Denn selbstverständlich – und das war mir vorher durchaus bewusst – wurde ich sofort komplett abhängig und installierte mir umgehend Instagram und verschiedene andere Apps, startete ein paar Monate später diesen Blog und vergesse zwar ab und zu meinen Haustürschlüssel, aber sicher nicht mein Telefon.
Höchstens dreimal klingeln lassen!
Das Einzige, was ich mit diesem Gerät noch immer ungern tue, ist telefonieren. Ich hasse es, unbekannte Menschen anzurufen und ich schreibe gerne sehr lange E-Mails, die so beginnen: „Leider habe ich Sie telefonisch nicht erreicht…“. Tatsächlich habe ich es höchstens dreimal klingeln lassen, um nicht zu lügen und doch zugleich kaum eine Möglichkeit aufkommen zu lassen, dass Person A tatsächlich rangeht, besonders, weil ich es zu einer quasi unmöglichen Uhrzeit versucht habe. Ich will auch nie bei Pizza- oder Kundendiensten anrufen, obwohl das selbstverständlich total albern ist, aber Überwindung kostet es mich dennoch jedes Mal.
Und ich liebe meine Familie und meine Freundinnen, aber wenn ich abends zwischen 21 bis 22 Uhr aus den Kinderzimmern krieche, dann ist wirklich das aller-, allerletzte, was ich dann möchte, ein Telefon am Ohr. Ich möchte dann nichts mehr hören, auf das ich antworten oder reagieren müsste, sondern mich bloß noch von einer Serie beschallen lassen. Aber vielleicht ist der wahre Grund auch ein ganz anderer, nämlich dieser: Ich habe zwischen meinem 12ten und 17ten Lebensjahr einfach so viele Stunden mit einem Hörer am Ohr verbracht, dass es für ein Leben ausreicht – und jetzt sagt mir doch bitte, dass ihr wisst, was ich meine, ja?