(Werbung, da Rezensionsexemplar)
„Das Eis-Schloss“ ist ein bereits in den 1960er Jahren erschienener Roman des norwegischen Schriftstellers Tarjei Vesaas, den ich in der von Hinrich Schmidt-Henkel übersetzten Ausgabe, die im Berliner Guggolz Verlag erschienen ist, gelesen habe. Ich muss gestehen, dass ich aufgrund seines wirklich schönen Umschlagdesigns auf den Titel aufmerksam wurde, denn dass Vesaas für diesen Roman 1964 den Preis des Nordischen Rats gewonnen hatte und der Autor mehrfach für den Nobelpreis vorgeschlagen worden war, wusste ich nicht. Doch worum geht es in dieser Geschichte überhaupt?
Der Roman beginnt an einem eisigen Winternachmittag und wir, die Leser, begleiten die elfjährige Siss auf ihrem Weg durch die Dunkelheit. Aufgeregt ist das junge Mädchen, denn sie ist auf dem Weg zu Unn, einer neu hinzugezogenen Klassenkameradin, deren Mutter kürzlich verstorben ist. Unns Tante, die selbst kinderlos und nicht verheiratet ist, hat sie bei sich aufgenommen und bereits vom ersten Tag an fühlt Siss sich zu ihr hingezogen. Unn gibt ihren Mitmenschen Rätsel auf, denn sie ist scheu und schweigsam, hält sich immer ein wenig abseits, doch wenn sie ihre Stimme erhebt, dann ist da eine unerwartete Kraft.
An diesem Nachmittag ist es dann endlich soweit: Die Mädchen haben sich miteinander verabredet und es herrscht eine große Anspannung, weil beide wissen, dass es hier um mehr geht, als um das erste Kennenlernen zweier junger Mädchen. Unn nämlich hat ein Geheimnis und Siss weiß, dass sie aus einem ganz bestimmten Grund eingeladen wurde, doch kann sie aushalten, was sich ihr offenbaren wird?
Das Zentrum dieses atmosphärisch sehr dichten und sprachlich wunderbar klaren Romans ist das titelgebende Eis-Schloss, das aus der norwegischen Kälte eines langen, langen Winters über einem Wasserfall entstanden ist. Es liegt recht weit entfernt vom Dorf und ist eine so imposante und zugleich rätselhafte Erscheinung, dass insbesondere die jungen Menschen sich von ihm angezogen fühlen. Ein Schloss, entstanden aus Eis, mit vielen verwinkelten Räumen, die so manche Gefahr in sich bergen, denn spitze, von der Decke herabragende Eiszapfen, seltsame Spiegelungen, fremde Geräusche und die alles umgebende Kälte lassen eine Welt entstehen, in der man sich leicht verlieren kann.
Genau aus diesen beiden Elementen, der Geschichte von Siss und Unn und der mysteriösen Anziehungskraft des Eis-Schlosses, besteht Vesaas Roman, der mich eingangs verstört und umgetrieben hat, doch Seite um Seite wurde mir klar, dass sein Geheimnis nicht darin besteht, etwas aufzudecken oder zu offenbaren, sondern ganz im Gegenteil: Immer weiter wird umhüllt und verrückt, entweicht und vergeht, was nicht festgehalten werden konnte, und am Ende bleiben das Hier und das Jetzt und die Gewissheit, einen ganz großen Roman gelesen zu haben, dessen Zauber mich noch lange begleiten wird.
Tarjei Vesaas: Das Eis-Schloss. Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Mit einem Nachwort von Doris Lessing.
Goggolz Verlag: Berlin 2019.
199 Seiten, 22,00 Euro.
Hier der Link zur Verlagsseite des Buches.