Sheila Hetis Buch „Mutterschaft“ ist die philosophische Dokumentation einer Suche nach Antworten auf die Frage: „Will ich ein Kind“?
(Werbung, da Rezensionsexemplar)
Die Autorin dieses Buches ist Ende dreißig, als sie sich vermehrt und mit einer zuvor ungekannten Dringlichkeit die Frage stellt, ob sie ein Kind möchte oder nicht. In ihrem Freundeskreis haben sehr viele Frauen kürzlich Nachwuchs bekommen und mit ihrem Partner Miles ist die 1978 in Toronto geborene Sheila Heti schon viele Jahre liiert. Doch Heti geht es nicht allein darum, ob ein Kind jetzt gerade zu ihrer momentanen Lebenssituation passen könnte, sondern um wesentlich grundsätzlichere Themen, die damit verbunden sind, wenn wir die Frage danach, ob wir uns fortpflanzen sollten, als philosophische Herausforderung annehmen. Sheila Heti, u.a. Verfasserin des 2014 erschienenen Bestsellers „Wie sollten wir sein?“, geht es dabei folglich um weit mehr, als um eine persönliche Lebensentscheidung. So ist der Inhalt ihres Buches „Mutterschaft“ nicht in einem Satz erklärbar, denn das Buch ist die Dokumentation einer Entwicklung, die an verschiedenen Schauplätzen stattfindet: im Kopf und im Körper, bei Heti und Miles, ihrer Mutter, ja bereits bei ihrer Großmutter und der jüdischen Vergangenheit von Hetis Familie. Dass das Buch als Roman bezeichnet wird, ist dabei nur kurz irritierend, denn letztlich ist es ja völlig egal, ob die Sheila Heti vom Autorenfoto mit dem hier sprechenden ‚Ich‘ 1:1 identisch oder ob die Erzählerin ein Double der Autorin ist. Ihre Fragen und ihre Antworten sind deswegen nicht weniger wahr oder relevant. Da die Parallelen zum Leben Sheila Hetis hier aber von so offenkundiger Notwendigkeit sind, um überhaupt darlegen zu können, wie sie argumentiert, wird die Erzählerin des „Romans“ im Folgenden mit Sheila Heti identifiziert. (Das Verfahren erinnert wahrscheinlich nicht ganz ohne Grund an die biographischen Parallelen der Romane Simone de Beauvoirs zu ihrem eigenen Leben.) Es ist also ein bisschen egal, ob das Buch als Roman gekennzeichnet wurde oder nicht, aber ob es passend ist, kann man schon fragen.
Heti nimmt ihre Ausgangsfrage „Will ich ein Kind bekommen“ fortan überall hin mit: Spricht mit diversen Menschen über das Thema und sucht nach den verschiedenen Denkwegen, um sich der Frage nach dem Kind aus so vielen Richtungen wie möglich zu nähern. Heti möchte die Erfahrungen von Menschen, die sie sehr gut und sehr lange kennt, aber auch diejenigen gerade erst getroffener Bekannter einbinden und gibt deren Meinung über Kinder oder Kinderlosigkeit wieder. Sie befragt die Münzen, antike Schriften, ihre eigene Vergangenheit, besucht eine Klinik, in der sie ihre Eizellen einfrieren lassen könnte, konsultiert eine Wahrsagerin und immer wieder Bibliotheken. Kurz: Heti kreist ihre Fragestellung mehr und mehr ein und beobachtet sich selbst dabei genau, denn auf ihre Reaktion, ihre Gedanken und Empfindungen wird es ja letztlich ankommen. So hält sie inne und stellt sich – zwangsläufig mit der Kinderfrage verbunden – auch immer wieder die Frage nach dem Sinn ihres Lebens und danach, was sie mit den ihr verbleibenden Jahren anfangen will. Zu schreiben ist stets der Zweck ihrer Tage gewesen, und kann sie bleiben, wer sie ist, wenn sie auch noch Mutter wird? Ist es tatsächlich die Hervorbringung eines menschlichen Lebens, mit dem sie stets verbunden sein wird, dem sie sich nun widmen will oder ist es der Druck der vorangeschrittenen Lebenszeit, der nun auf ihr lastet, sie einengt und zwangsläufig jetzt eine Entscheidung von ihr fordert, weil sie am Ende ihrer Reproduktivphase angekommen ist?
Bestandsaufnahme des Lebens
Hetis Auseinandersetzung mit der Frage nach Mutterschaft ist somit nicht nur eine reine Kopfsache, sondern ganz deutlich eine Auseinandersetzung mit ihrem Körper und dessen Bedürfnissen. Sie nimmt deutlich wahr, welchen Einfluss ihr Zyklus allmonatlich auf ihr Empfinden und damit auch auf ihr Handeln nimmt und diese Kraft der Biologie oder besser: des Nicht-Rationalen treibt sie um, da ihr Körper bzw. die in ihm wirkenden Hormone Heti auf diese Weise bewusst machen, dass es bestimmte Bereiche gibt, die sich streng logischen Kontrollversuchen entziehen. Die Kinderfrage wird zu einer Bestandsaufnahme ihres gesamten Lebens, denn auch ihre Partnerschaft mit Miles wird immer wieder kritisch in Zweifel gezogen, obwohl Heti sich sicher ist, dass er ihr Mann ist und bleiben wird. „Mutterschaft“ ist ein Buch über die Frage, wie eine denkende und schreibende Frau sich gegenüber der persönlichen Zeitlichkeit verhalten kann und es ist ein Buch über Differenzen. Egal wie sachlich sie sich bestimmten Argumenten auch nähern mag, PMS und Regelblutung, die Frage nach der geeigneten Verhütung und die Entscheidung, die Pille danach einzunehmen sind konkrete Antworten auf die weibliche Körperlichkeit mit der ebenfalls umgegangen werden muss, um sich dem Phänomen Mutterschaft in all seinen Facetten anzunähern.
Dialog mit der eigenen Mutter
Und letztlich, so zeigt Heti eindrucksvoll, ist die Weitergabe der eigenen Gene immer auch ein Dialog mit der Vergangenheit, denn ihre eigene Mutter, die sich auch – und das obwohl sie eine Tochter hat – mit Haut und Haar ihrer Arbeit als Ärztin verschrieben hatte, gilt es ebenfalls zu befragen und dabei genau hinzuhören und die eigenen Erinnerungen als Tochter miteinzubeziehen. Heti findet eindrucksvolle Bilder für ihre gedanklichen Stationen und sieht sich selbst dabei stets als eine Mutter, die ihr Kind gerade verabschiedet. Sie ist da, aber ihre mütterliche Pflicht ist getan, das Kind wendet sich ab und hinterlässt eine Frau, die die Stille ihrer Arbeit braucht und liebt und die Worte hervorbringt, wo sonst andere Geburten stattfinden. Die Dringlichkeit, „Mutterschaft“ zu schreiben, ist die einer bestimmten Lebensphase und das vorliegende Buch wird zum notwendigen Zeugnis einer Denkerfahrung, die zu ganz klaren Ergebnissen führt.
Sheila Heti muss man langsam und Schritt für Schritt lesen, um wirken zu lassen, was manchmal nur zwischen den Zeilen zum Ausdruck kommt. Ihre immer wieder in den Text eingebauten Befragungen der Münzen hätten mitunter etwas schmaler ausfallen können, denn es ist schnell klar, worauf diese Form der Koketterie mit dem Zufall hinauslaufen wird. Doch alles andere sitzt genau da, wo es hinsoll und so ist Sheila Heti mit „Mutterschaft“ eine ebenso ungewöhnliche wie höchst intellektuelle und dabei ausgesprochen aufrichtige, weil auch ins unschöne Detail blickende, Autobiographie des Nachdenkens über Fortpflanzung gelungen. Ein solches Buch hat es bisher noch nicht gegeben, ja konnte es bis vor wenigen Jahren auch noch nicht geben, denn Heti ist sehr genau am Puls ihrer Zeit und weiß um die biographischen, beruflichen, privaten und technischen Möglichkeiten dieser unserer Gegenwart und nimmt die Last entgrenzter Chancenvielfalt als Herausforderung ihres Denkens an. Ihr dabei zu folgen ist großartig.
Sheila Heti: Mutterschaft. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Überhoff.
Rowohlt Verlag 2019. 320 Seiten
ISBN: 978-3-498-03039-1
Preis: 22,00 Euro.
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