Dunkel, (halbwegs) kalt und nass. So erinnere ich die meisten Winter, irgendwo im Westen. Klare blaue Himmel und weiß geschneite Landschaften sind meist die Ausnahme – oder es wird erst Ende Februar klirrend kalt, dann nämlich, wenn ich schon längst die ersten Tulpen gekauft habe und den Frühling sehr herbeisehne.
Aber es hilft ja nichts: Bis dahin ist irgendwie Winter, auch, wenn der oft wenig malerisch, sondern eher matschig ist.
Überwintern
In diesem Jahr habe ich mir zu Weihnachten selbst ein Buch geschenkt, das ich – nach zwei längeren Leseabenden – bereits am zweiten Feiertag ausgelesen hatte, weil es mich und meine Stimmung so perfekt abgeholt hat: „Überwintern. Wenn das Leben innehält“ der Britin Katherine May ist eine Verknüpfung aus Sachbuch und sehr persönlichen Winter-Erfahrungen und Geschichten, denn Winter ist für May nicht bloß eine Jahreszeit, sondern ein Zustand, der uns im Laufe des Lebens zwangsläufig immer wieder einholt.
Krisen- und Umbruchsituationen, Zeiten der Unsicherheit, der Sorge, des Hoffens und Bangens oder gar der Trauer und Angst, das sind die Winter, von denen May schreibt und die sie mit ihren eigenen Erfahrungen in Verbindung treten lässt. Dabei geht es keinesfalls um die Vermittlung simpler Ratschläge oder überzuckerter Du-bist-wertvoll und sowieso wird alles immer gut Parolen, sondern viel mehr um das Annehmen von Phasen des Wankens und um das Aufzeigen von Wegen, wie es sich in Abwesenheit der hellen Tage möglicherweise doch ganz gut leben lässt.
Ein kluges, toll geschriebenes Buch, das mir noch einmal vor Augen geführt hat, wie viele Dinge im Leben nur sind, was sie sind, weil wir auch ihr Gegenteil kennen und aushalten müssen.
Katherine May: Überwintern. Wenn das Leben innehält. Aus dem Englischen von Marieke Heimburger. Insel Verlag 2021. ISBN: 978-3-458-17958-0, 272 Seiten. Preis: 22,00 Euro.
Mit „Überwintern“ konnte ich meine schon seit Wochen bestehende Leseflaute endlich beenden und war froh, als ich beim Lesen merkte, dass mein Interesse endlich mal wieder so richtig geweckt worden war. Die meisten Bücher habe ich in der letzten Zeit bloß angefangen und (erstmal) nicht zu Ende gebracht, da mich nicht packen konnte, was ich dort las. Doch auch (oder erst recht) für Bücher gibt es den richtigen oder den falschen Zeitpunkt und einige der nun angelesenen Romane werde ich sicher demnächst wieder zur Hand nehmen.
Judith und Hamnet
Die irische Schriftstellerin Maggie O’Farrell gehört seit einiger Zeit zu meinen liebsten zeitgenössischen Autorinnen. Ihr 2020 erschienener Roman „Judith und Hamnet“ (der auf Englisch treffender nur „Hamnet“ heißt), lag daher schon eine Weile bereit, aber manchmal hebe ich mir Bücher, an die ich besondere Erwartungen habe, seltsam lange auf. Und an diesen Roman hatte ich wirklich große, die nicht enttäuscht, wurden, im Gegenteil: Es gibt sogar eine Szene in diesem Buch, das von der Familie William Shakespeares, insbesondere jedoch von dessen Frau Agnes und den drei gemeinsamen Kindern erzählt, die ich für wirklich meisterhaft und sehr stark nachwirkend halte. (Welche das ist kann ich erst verraten, wenn ihr den Roman auch gelesen habt.)
„Judith und Hamnet“ ist keine leichte Kost, denn der Schwarze Tod hat Einzug in Stratford-upon-Avon gehalten und wird die Familie nicht ohne einen tragischen Verlust wieder verlassen.
Doch O’Farrells Roman ist nicht nur traurig, schwermütig und manchmal sogar erschütternd, sondern vor allem ist er in seinen Beschreibungen außerordentlich genau und lässt das Porträt einer außergewöhnlichen Frau und Mutter entstehen, deren Stärke und Mut ebenso wie die besondere, nur ihr gegebene Gabe beeindrucken. Agnes steht ein für das Leben, das sie leben will, und würde alles tun, um ihre Kinder vor der Pest zu beschützen. Doch der Tod ist gierig und allzu nah und die Hitze des Fiebers nimmt Agnes für einen Augenblick lang die Sicht auf das, was tatsächlich geschieht.
„Judith und Hamnet“ ist eine äußerst eindringliche Fiktion darüber, wie es möglicherweise zu einem der berühmtesten Dramen der Weltliteratur kam und lässt anhand von Agnes Schicksal eine ganze Zeit auferstehen. Eine große Empfehlung!
Maggie O’Farrell: Judith und Hamnet. Übersetzt von Anne-Kristin Mittag. Piper Verlag 2020. EAN: 978-3-492-07036-2, 416 Seiten. Preis: 22,00 Euro. (Das sind die Angaben zum Hardcover, auch im Taschenbuch ist der Roman bereits erschienen.)