(Werbung, da Rezensionsexemplar)
Die Erde gibt es nicht mehr. Auch die Menschheit wurde ausgelöscht, aber sie hat in den vorangegangenen Jahrhunderten auch alles dafür getan, dass es um sie nicht allzu schade ist. Es wurden erbitterte Kriege geführt und am Ende, im Angesicht der Katastrophe, blieb nur noch die Flucht ins All.
Michael Stavariçs Roman „Fremdes Licht“ erzählt von Elaine, die sich im ewigen Eis wiederfindet. Aber es ist nicht die ihr sehr wohl vertraute Eiswelt Grönlands, die Elaine bereits als Kind mit ihrem Großvater erkundet hat, sondern die gänzlich unwirtliche Umgebung eines fremden Planeten. Elaine scheint überlebt zu haben, was dem Rest der Menschheit nicht geglückt ist, und so sieht sich die erfolgreiche Wissenschaftlerin nun konfrontiert mit einer gänzlich weißen, klirrend kalten und bedrohlich einsamen Zukunft.
Zurück in die Vergangenheit?
In Gedanken reist Elaine zurück in ihre Vergangenheit und lässt die Leser des Romans so teilhaben an ihrer ganz besonderen Geschichte, die sie überhaupt erst an diesen Ort brachte. Elaine zuzuhören ist spannend, weil sie nicht nur ihre Familiengeschichte, die eng mit dem Leben der Inuit verbunden ist, nach und nach entfaltet, sondern weil gleichzeitig die Frage immer dringlicher wird, wo sie sich gerade eigentlich genau befindet, ob sie an diesem seltsamen Ort tatsächlich allein ist und wieviel Zeit seit ihrer Flucht von der Erde wirklich vergangen ist.
Die Weiße Stadt
Je weiter Elaine erzählt, desto mehr wollen wir von ihr wissen, doch dann, als es gerade so richtig spannend wird, kommt es zu einem Bruch. Überraschend beginnt nun der zweite Teil des Romans, der zwischen Grönland und Chicago spielt, und in dem die Vergangenheit von Elaines Familie selbst zu Wort kommt. Zur Folge hat das nicht direkt mehr Klarheit, denn man muss sich erst einfinden in die Hintergründe und die veränderten Erzählperspektiven. Zum einen ist es das Tagebuch des Vogelmannes, das hier in Auszügen wiedergegeben wird, in dem der aus Norwegen stammende Seefahrer von seiner Expedition nach Grönland berichtet. Dort lernt er eine junge Frau namens Uki kennen, die sich als äußerst wissbegierig und sehr interessiert an der Welt dort draußen entpuppt, und so wird die sich entwickelnde Handlung auch noch einmal aus Ukis Perspektive erzählt. Sie verbringt fortan viel Zeit mit dem Vogelmann, der der Kapitän des Schiffes ist, zudem lernt sie lesen und schreiben und sich in mehreren Sprachen zu verständigen.
Als Uki eines Tages von der Weißen Stadt hört, die zum Anlass der großen Weltausstellung in Chicago entstanden ist, gibt es für sie kein Halten mehr. Sie muss gemeinsam mit den Männern aufbrechen und mit eigenen Augen sehen, welche Wunder die neue Welt bereithält.
Wendepunkte der Zivilisation
Auch dieser Erzählstrang ist durchaus interessant, doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass doch eigentlich noch immer die junge Elaine dort draußen ist, die irgendwo allein im Eis sitzt und über die ich noch viel zu wenig erfahren hatte. Der Perspektivwechsel in der Erzählung wird ganz am Ende zwar zusammengeführt, aber dennoch ergibt sich daraus für mich der Eindruck einer nicht ganz runden Geschichte. Während wir zu Anfang minutiös in Elaines Taten und Erinnerungen eingeführt werden, erwartet uns am Ende nur eine kurze Zusammenfassung des Geschehens und das hat mir einfach nicht gereicht.
Äußerst raffiniert ist jedoch, dass Stavariç in beiden Erzählwelten große Wendepunkte der Zivilisation heraufbeschwört, um an diesen entlang von Elaines Schicksal zu erzählen. Während die Weltausstellung als Gipfel menschlichen Fortschritts und technologischer Entdeckungen, ja wahrer Wunder des erfinderischen Strebens gefeiert wurde, hat sich genau diese Zivilisation, die immer weiter nach Wachstum strebt, mittlerweile selbst zerstört, sodass am Ende (oder am neuen Anfang) nichts bleibt, außer einer gigantischen weißen Fläche.
Michael Stavariç: Fremdes Licht. Roman. Luchterhand 2020. ISBN: 978-3-630-87551-4, 512 Seiten. Preis: 22,00 Euro.