(Werbung, da Rezensionsexemplar)
Wie lebt es sich, wenn du aus einem Land kommst, das in zahlreichen Köpfen direkt Assoziationen zu Krieg und Kriegsverbrechern hervorruft? Wenn das Telefon in der kleinen Wiener Wohnung, die du mit deinen Eltern und deinem Bruder bewohnst, oft klingelt und der unbekannte Anrufer am anderen Ende wissen will, ob du aus Serbien oder aus Kroatien stammst?
Die Fotografin Billy Bana, die eigentlich Biljana heißt, verlässt ihre Eltern früh und reist einige Zeit später bereits um die Welt, um auf Fotos festzuhalten, was sie ausdrücken will. Sie wird nirgends lange bleiben und hat die Verbindungen zu ihrer Vergangenheit bewusst gelöst, um etwas anderes zu werden und um dem zu entgehen, was man womöglich Herkunft nennen kann.
Fremde Einsamkeit
Auch ihr Bruder Jonas Neven, den Billy nicht nur als Kind sehr geliebt hat, verlässt eines Tages seine Familie und verschwindet spurlos. Sandra Gugićs zweiter Roman „Zorn und Stille“ erzählt die Geschichte von Billys Familie aus verschiedenen Perspektiven und darin liegt eine große Stärke des Buches. Denn Billys Lebensthemen sind in vielen Punkten so ganz anders als die Gedanken und Sorgen, die bspw. ihre Mutter Azra umtreiben und mich hat der Roman erst da so richtig gepackt, als Azra zu sprechen beginnt.
Während Billy sich lösen, neu erfinden, frei machen und sich ausdrücken will, kämpft Azra darum, in einer neuen Welt und in wesentlich alltäglicheren Zusammenhängen zurecht zu kommen und ihren Kindern ein Leben zu erhalten, für das sie tagtäglich hart arbeiten muss. Ähnlich ergeht es auch ihrem Mann Sima, der sich in verschiedenen Jobs verdingt, und der seine Tochter unterdessen so leise und tief traurig vermisst. Jeden Zeitungsartikel über Billy, deren Fotos in der Zwischenzeit bekannt geworden sind, hebt er auf, und doch fehlen zwischen ihm und seiner Tochter die entscheidenden Worte, als es darauf ankommt.
Azras Wut und Simas Traurigkeit habe ich als sehr plastisch dargestellt empfunden, doch Billy blieb mir durchgehend fremd. Bis zum Ende wurde mir nicht klar, worin ihre Einsamkeit letztlich gründet, aber ihren Schmerz, den habe ich verstanden.
Sandra Gugić: Zorn und Stille. Roman. Hoffmann und Campe 2020. ISBN: 978-3-455-00976-7, 240 Seiten. Preis: 24,00 Euro.