(Werbung, da Rezensionsexemplar)
…für Mary MacLane und ihr nahezu unmögliches Buch „Ich erwarte die Ankunft des Teufels“.
Ich wollte eigentlich nur einmal kurz reinschauen und die ersten Sätze anlesen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, um was für eine Art Buch es sich bei Mary MacLanes 1902 (!) erschienenem Selbstporträt handelt. Doch dann las ich nicht nur ein paar Sätze, sondern Seite um Seite, und die Frage danach, was für ein Buch dieses Textereignis eigentlich ist, konnte ich immer weniger eindeutig beantworten. Aber ich war gefangengenommen von MacLanes Aufzeichnungen, die die Schriftstellerin und Übersetzerin Ann Cotten so wunderbar ins Deutsche übertragen hat, und ich war ratlos zugleich: Wie konnte eine Frau im Alter von 19 Jahren, die aus der ländlichen Arbeiterstadt Butte in Montana stammt, nur Anfang des 20. Jahrhunderts ein solches Buch schreiben? Woher nimmt sie ihre Wortgewandtheit, die Melodie ihrer Sätze und die ungeheure Wucht, mit der sie sich hier der lesenden Öffentlichkeit präsentiert?
Das Thema ist sie selbst
Das Thema von Mary MacLanes Schreiben ist sie selbst und sie changiert dabei zwischen einer großen Bewunderung für das eigene Genie, ihrem erdrückend eintönigen Alltag und den sie umgebenden Menschen, die nicht den Hauch einer Ahnung davon haben, was in Wahrheit alles in Mary steckt. Sie schreibt Sätze von einer so geballten Überzeugungskraft, als hätte man Nietzsches „Ecce homo“ vor sich, doch MacLane, die sich hergeben und die sich hingeben will, in dem, was ein noch zu erschaffendes Werk sein kann, ist weit leidenschaftlicher als ihre schnauzbärtigen Zeitgenossen.
Lebensbejahende Körperlichkeit
Mary ist zerrissen zwischen Hoffnung und Entsetzen und zwischen der allumfassenden Einsamkeit, die sie seit Kindheitstagen begleitet, und der großen Freude an sich. Dieser Aspekt ihres Schreibens hat mich besonders begeistert, denn Mary MacLane betont nicht nur ihre Geistesgröße, sondern sie erfreut sich ebenso an ihrer gesunden Physis und ihrem starken Frauenkörper. Das Großartige dabei ist, dass sie dies tut, weil sich ihre kräftige und lebensbejahende Körperlichkeit selbst genug ist. Es sind keine Schönheitsideale, denen MacLane entsprechen will und auch keine Leidenschaftsfantasien, denen sie ihren Körper unterwirft, sondern sie ist jung, gesund und voller Tatendrang und das spürt sie nicht nur denkend und schreibend, sondern auch mit jedem Schritt durch die weite Landschaft Montanas.
Selbstverständlich ist dieser Ich-zentrierte Lobgesang auch eine ganz schöne Zumutung, aber eine, mit der ich vollauf sympathisiere, gerade weil Mary MacLanes Selbstüberschätzung so wahnsinnig unzeitgemäß ist und allen Tugenden widerspricht, die jungen Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts und weit darüber hinaus vermittelt wurden. Ein guter Schuss von diesem lauten und aufrührerischen Geist täte auch heute noch gut, und zwar immer dann, wenn Frauen zu leise sind oder zu leise gemacht werden (!), anstatt mit fester Stimme davon zu sprechen, was sie können, wollen und sind.
Mary MacLane: Ich erwarte die Ankunft des Teufels. Aus dem Amerikanischen übersetzt und mit einem Nachwort von Ann Cotten. Mit einem Essay von Juliane Liebert. Reclam 2020. ISBN: 978-3-15-011256-4, 206 Seiten. Preis: 18,00 Euro.