(Werbung, da Rezensionsexemplar)
Die schottischen Shetlandinseln liegen mitten im Atlantik. Das Klima dort kann rau sein und auch die Einsamkeit einer dünn besiedelten Insel ist sicher nichts für jedermann. In seinem Debütroman „Das Tal in der Mitte der Welt“ erzählt Malachy Tallack von einem Tal auf den Shetlands, in dem nur wenige Häuser stehen. Dort lebt David, der tagtäglich sein Werk verrichtet und dabei so sehr eins mit seinem Tun und der ihn umgebenden Landschaft ist, als gehöre er der Insel untrennbar an.
Gemeinsam mit seiner Frau Mary hat David zwei Töchter, doch die sind längst erwachsen und haben das Tal verlassen. Übrig geblieben ist Sandy, der mit Emma, der jüngeren Tochter, aber Emma ist gegangen und Sandy weiß nicht, ob er auch ohne die junge Frau im Tal bleiben kann. Zwischen Sandy und David besteht jedoch ein besonderes Band, denn Sandy fühlt sich an diesem Ort ebenfalls zu Hause und kann Davids Verbundenheit mit dem Tal nachfühlen:
„Sandy stand da und schaute, und in diesem Augenblick war er sprachlos, wie schön das alles war, wie still. Er fühlte sich ganz in der Mitte, als wäre der Rest der Welt, und der Rest seines eigenen Lebens, nur ein Satellit dieses Ortes und dieses Augenblicks. Nichts war in Erwartung. Alles war jetzt.“ (S. 227-228)
Verwicklungen und Schicksalsschläge
Der Roman beginnt an einem 31. Oktober und endet am 20. August. Dazwischen liegen zahlreiche ‚Stillleben‘, Geschichten in Miniatur über die Menschen des Tals und über die Verwicklungen und Schicksalsschläge, die sie zu dem gemacht haben, was sie jetzt sind. Warum sie kistenweise Briefe horten, in denen kaum etwas steht, außer Beschreibungen des Wetters. Wieso sie viel zu viel trinken oder weshalb sie ihr Leben mit einem Menschen teilen, den sie eigentlich gar nicht mögen.
Jedes der wenigen Häuser im Tal hat eine Geschichte und Tallack gelingt es ganz wunderbar, alles, was ist, miteinander zu verbinden, denn alles ist gleichzeitig da und dennoch ist nichts mit Eile oder Hast verbunden.
Wolken und Schafe, Gedankenströme und die eigene Vergangenheit, der Blick aus dem Küchenfenster, eine Kanne Tee am Nachmittag und die Sorgen über das, was kommen mag – aus diesen Elementen setzt Tallack die Bewohner:innen des Tals zusammen und erschafft damit eine Handvoll ganz unterschiedlicher Charaktere, die über den Platz, an dem sie leben, miteinander verbunden sind. So auch Alice, eine verwitwete Schriftstellerin, die ein Buch über diesen einzigartigen Ort im Meer schreiben will und die erst ganz am Ende bemerkt, was für einen Prozess sie durchlaufen musste, um etwas schreiben zu können, auf das sie wirklich stolz ist.
Unaufgeregte Prosa
„Das Tal in der Mitte der Welt“ erzählt in unaufgeregter Prosa von einem Leben, das reduzierter und reizärmer ist als anderswo, das aber zugleich unter einem weit offenen Himmel stattfindet. Ich habe den Roman, dessen Entstehungsprozess von John Burnside begleitet wurde, äußerst gern gelesen, mochte Tallacks schnörkellose Sprache und hatte sofort ein Bild von diesem Ort zwischen Wasser und Wind vor Augen.
Auch nach dem Ende meiner Lektüre denke ich weiterhin oft an David, Sandy, Alice und die anderen, die ihr Leben so leben, wie es die Insel vorgibt und wie sie selbst es brauchen. Das nämlich erscheint mir als ein sehr erstrebenswerter Zustand.
Mallachy Tallack: Das Tal in der Mitte der Welt. Roman. Aus dem Englischen von Klaus Berr. Luchterhand Verlag 2021. Seiten: 384, ISBN: 978-3-630-87611-5, Preis: 20,00 Euro.