Jessica Linds Debütroman „Mama“ hat mich umgehauen! Es ist die Geschichte einer jungen Frau mit Kinderwunsch, aber es ist auch ein Roman, der von Einsamkeit und den Bedrohungen erzählt, die entstehen, wenn die eigene Wahrnehmung unzuverlässig wird und sich die Grenzen zwischen Räumen, Zeiten und Zuständen in Auflösung befinden. Ich freue mich daher wirklich sehr, dass ich Jessica einige Fragen über ihren Roman, ihre Arbeit als Schriftstellerin, den Wald, die Einsamkeit und das Mutter sein stellen durfte.
Wie bist Du zum Schreiben gekommen? Hast Du schon als Kind viel gelesen und geschrieben oder hat sich dieser Wunsch erst später entwickelt?
Ich konnte es tatsächlich kaum erwarten, selbst lesen zu lernen, um nicht mehr darauf angewiesen zu sein, vorgelesen zu bekommen. Etwas später war dann ein Tagebuch mein ständiger Begleiter. Und zum Leidwesen meiner Schwestern habe ich sie gezwungen, in meinen Theaterstücken mitzuspielen.
Wie sieht Dein Arbeitsalltag als Autorin aus?
Gerne würde ich sagen, ich bin sehr diszipliniert, aber im Moment kämpfe ich etwas mit meiner Routine. Früher ist mir das leichter gefallen. Es liegt wohl an der Ausnahmesituation, in der wir uns gerade alle befinden. Ich versuche da nicht so streng mit mir zu sein. Und sobald es eine Deadline gibt, halte ich sie auch ein. Solche Strukturen helfen. Ebenso, wenn ich mich auf größere Projekte konzentrieren kann, an denen ich jeden Tag ein Stück weiterarbeite. Viele kleine Tasks finde ich viel schwieriger zu bewältigen.
Wie kommst Du mit der Stille und der Einsamkeit kreativer Schaffensprozesse zurecht?
Es ist eine Frage des Rhythmus. Oft fällt es mir am Anfang schwer, in ein Projekt zu finden, aber es gibt dann diesen Moment, wo der Kopf aufgeht. Dann genieße ich meine Arbeit so richtig und fühle mich gar nicht allein, sondern meinen Figuren ganz nah. Bei Schreibblockaden finde ich Recherche sehr hilfreich. Außerdem habe ich ein paar Verbündete, mit denen ich über die Projekte und die Herausforderungen sprechen kann. Dann ist es nicht mehr ganz so einsam.
Kannst Du immer schreiben oder brauchst Du eine bestimmte Situation, eine Tageszeit oder vielleicht sowas wie eine aufgeräumte Umgebung oder gibt es andere Besonderheiten?
Es gibt diese Zeiten, zu denen ich immer und überall schreiben kann. Sie sind mir sehr kostbar, weil es oft ewig dauert, bis es „wie-am-Schnürchen“ läuft. Bei mir ist tatsächlich jedes Projekt sehr anders. Manchmal fällt es mir leichter untertags zu arbeiten, manchmal abends. Was auf jeden Fall hilft, ist ein aufgeräumter Kopf und ein ausgeglichener, ja fast langweiliger Alltag.
„Mama“ ist Dein erster Roman. Vorher hast Du Drehbücher geschrieben und als Dramaturgin gearbeitet. Ist es Dir wichtig, verschiedene Textformen auszuprobieren oder wie kam es zu diesen ja doch recht unterschiedlichen Produktionsformen?
Noch immer arbeite ich als Drehbuchautorin und Dramaturgin. Damit verdiene ich meinen Lebensunterhalt. Film ist neben der Literatur meine zweite Liebe und ermöglicht es mir, vom Schreiben leben zu können. Ich habe an der Filmakademie Wien Drehbuch studiert, aber davor, währenddessen und bis heute immer auch literarisch geschrieben. Bei Film und Fernsehen steht das Gemeinsame viel mehr im Vordergrund. Schon früh bespricht man Ideen und Fassungen mit ganz verschiedenen Menschen, die alle eine Meinung haben. Das hat bei mir dazu geführt, dass ich Kritik zu schätzen gelernt habe und sie auch in meinen literarischen Schaffensprozess einfließen lasse. Das Literarische ist aber mein kleines, warmes Zentrum. Etwas, das nur noch in den Köpfen der Leserinnen und Leser in Bilder verwandelt wird. Diese Art der Kommunikation über die Seiten eines Buches finde ich sehr intim. Als Leserin fühle ich mich oft von Büchern so verstanden, wie es mir im Umgang mit Menschen viel seltener gelingt.
In „Mama“ geht es um eine junge Frau mit Kinderwunsch, um eine einsame Hütte im Wald und – ich behaupte mal – auch um die Grenzen von Wahrnehmung. Du hast zunächst eine Kurzgeschichte mit dem Titel „Mama“ geschrieben, mit der Du 2015 das 23.te Open Mike gewonnen hast. Wie wurde daraus dann ein ganzer Roman?
Die Kurzgeschichte war wie ein Rätsel mit dem ich mich gerne noch weiter beschäftigen wollte. Gleichzeitig haben die Zutaten gut gepasst. Mutterschaft oder generell Elternschaft ist für mich ein wahnsinnig spannendes Thema, weil es viele Fragen vereint. Wer bin ich? Wie gehe ich mit Erwartungshaltungen um? Welchen Einfluss hat die Gesellschaft auf mein Leben? Auch die Veränderung des Körpers in der Schwangerschaft ist etwas, was mich fasziniert. Dieses große Thema im Mikrokosmos Wald abzuhandeln war eine Herausforderung, die mich gereizt hat. Und ich liebe unheimliche Geschichten und hatte hier die Möglichkeit mit Metaphern und Märchen aus dem Vollen zu schöpfen.
Ich fand das Buch u.a. sehr ‚filmisch‘, konnte die von Dir entworfenen sprachlichen Bilder sehr präzise in mögliche Filmbilder umwandeln, also habe konkret gesehen, was gerade geschieht (auch wenn das jetzt etwas esoterisch klingt). Ging es Dir beim Schreiben ähnlich und ist eine Verfilmung geplant?
Das finde ich toll! In Szenen zu denken hängt natürlich mit meiner Biographie zusammen. Ich versuche mir beim Schreiben tatsächlich alles sehr genau vorzustellen. Anders als beim Drehbuch muss ich allerdings nicht nur beschreiben, was ich sehe, sondern kann in die Figur hineinschlüpfen und auch parteiischer sein, erzählen, wie sie die Welt wahrnimmt. Die Kamera ist ja doch eine neutrale Beobachterin. Noch hat sich übrigens keine Produktionsfirma, die Verfilmungsrechte gesichert.
Dem Wald kommt in Deinem Roman eine besondere Bedeutung zu: als Ort der Zuflucht, aber auch als Bedrohung, als Hort von Geschichten und vielleicht ist er auch so etwas wie ein Ursprungsort – gibt es da eine konkrete Verbindung zu Schwangerschaft/Empfängnis und Geburt für Dich?
„Wald“ ist ja ein Begriff, der ganz viele Dinge vereint, die eines gemeinsam haben: sie sind alle Lebewesen – ok, bis auf die Steine, die da auch herumliegen. Trotzdem ist der Wald für mich der Inbegriff von Leben, von Mutter Natur, wenn man so will. Auch Geburt und Tod sind hier ganz nah beieinander. Wenn ein Baum stirbt und man ihn verrotten lässt, wird er wieder zu Erde, in der etwas Neues wächst. Es ist ein ewiger Kreislauf. In meiner Geschichte gibt es eine Art Zeitschleife. Da war der Wald als Handlungsort tatsächlich ziemlich zwingend für mich.
Ich habe die Isoliertheit Deiner Protagonistin auch als Vergleich zu der wahnsinnig betriebsamen und doch manchmal unheimlich einsamen Zeit mit einem neugeborenen Kind verstanden. Die Welt dreht sich plötzlich um dieses Wesen, das einem irre viel gibt und einen doch irgendwie komplett aussaugt. Habe ich da zu arg interpretiert oder wie würdest Du das beschreiben?
Du bringst das ziemlich genau auf den Punkt. Obwohl der Roman ausschließlich im Wald spielt, war es mir sehr wichtig, die Gesellschaft mit hineinzubringen. Dieses Gefühl, das du beschreibst, hängt ja damit zusammen, wie unsere Gesellschaft mit Müttern umgeht. Da gibt es einen großen Druck, Erwartungshaltungen zu entsprechen, eine gute Mutter zu sein. Gleichzeitig wird man ziemlich alleine gelassen. Das Dorf, das man sprichwörtlich braucht, um ein Kind aufwachsen zu lassen, gibt es so heute nicht mehr. Wir vereinzeln und die Kleinfamilie wird mit ihren Problemen im Stich gelassen, wie die Pandemie noch einmal deutlich gezeigt hat. Amira schafft das nicht, aber ich finde es ganz wichtig, sich zu vernetzen, Banden zu bilden und sich gegenseitig den Rücken zu stärken. Das passiert auch durch Geschichten über Elternschaft, gewollte, ungewollte und auch Kinderlosigkeit. Ich wünsche mir da ein breites Potpourri, das die alten Narrative überschreibt. Ich freue mich sehr, solche Geschichten immer öfter zu finden.
Und zu guter Letzt: kannst Du schon verraten, woran Du derzeit arbeitest?
Literarisch arbeite ich gerade an einem Familienroman, in dessen Zentrum drei Schwestern stehen. Diesmal wird Raum und Zeit nicht ganz so außer Kraft gesetzt, Liebe und das Unheimliche sind aber wieder bestimmende Themen. Parallel sitze ich aber auch an Drehbuchprojekten und muss meine Zeitplanung glaube ich etwas effektiver gestalten, damit es nicht wieder sechs Jahre bis zum nächsten Roman dauert. Immerhin geht das Kind mittlerweile in den Kindergarten – ich bin also zuversichtlich.
Liebe Jessica, ich danke Dir sehr für Deine Antworten und wer „Mama“ noch nicht gelesen hat, sollte das unbedingt nachholen. Ein ganz starker Roman, den ich hier ausführlich besprochen habe.
Das Foto der Autorin stammt von © Mercan Sümbültepe.