Ich habe zwei Bücher der Schriftstellerin Iris Wolff gelesen, die ich euch beide unbedingt empfehlen möchte, denn sie haben mir ausgesprochen gut gefallen. Warum das so war, versuche ich hier in Worte zu fassen.
Iris Wolff wurde 1977, so verrät es mir Wikipedia, in Rumänien geboren und wanderte 1985 mit ihrer Familie nach Deutschland aus. Sie hat in Marburg u.a. Literatur studiert und später im Deutschen Literaturarchiv Marbach gearbeitet.
Alles beginnt mit Jacob
In „So tun, als ob es regnet. Roman in vier Erzählungen“ beginnt alles mit Jacob, einem jungen Soldaten, der sich in einem Zug befindet, von dem nicht bekannt ist, wohin er ihn und seine Weggefährten bringen wird. Die Gruppe wird in den Karpaten stationiert, wo nicht nur Kämpfe, sondern auch ein eisiger Winter überstanden werden wollen.
Doch eines Tages findet sich Jacob bei einer Familie wieder, die ihn vorübergehend aufnimmt: Neben dem missmutigen Hausherrn lebt dort Alma mit ihren drei Töchtern und es treffen zwei Ereignisse aufeinander, die Jacobs Leben für immer verändern werden.
Große Wendepunkte und kleine Alltäglichkeiten
Iris Wolff erzählt die Geschichten einzelner Figuren, indem sie momentweise beleuchtet, was diese im Innersten ausmacht: sie zeigt große Wendepunkte und kleine Alltäglichkeiten, verbunden durch die Ruhe eines Erzählflusses, der weiß, dass sich aus dem einen stets ein anderes und wieder ein nächstes ergibt.
Es sind kurze Blicke, scheinbar beiläufige Berührungen und die ganz persönlichen Eigenarten eines Charakters, die Wolffs Figuren mit so viel Leben und Persönlichkeit füllen, dass ich als Leserin sofort mit ihnen vertraut war. Zwischen Jacob und Henriette, der Hauptfigur der zweiten Erzählung, besteht eine Verbindung, die wir zunächst nur erahnen können, doch im weiteren Verlauf dieses so fragil Generationen überspannenden Romans tritt zu Tage, wie die erzählten Lebensfragmente zusammenhängen.
Wolffs Erzählungen schaffen Nähe und erzeugen aus längst gelebten Vergangenheiten und dem Jetzt der Figuren eine ganz besondere Mischung, eine Art ‚Immer-Zeit‘, die auch dann noch gilt, wenn das einzelne Leben längst Geschichte geworden ist.
Die Unschärfe der Welt
In „Die Unschärfe der Welt“ ist dies ganz ähnlich: Auch hier wird die Geschichte einer Familie aus dem (rumänischen Teil des) Banat erzählt, indem Etappen und Stationen einzelner Familienmitglieder herausgegriffen werden. Dabei werden große Distanzen zurückgelegt – sowohl räumlicher als auch zeitlicher Natur, denn der Roman umspannt einige Jahrzehnte.
Während es in „So tun, als ob es regnet“ jedoch sehr klar war, wo das eine Leben anfängt und das nächste beginnt, ist die Handlung in „Die Unschärfe der Welt“ weiter verdichtet. Das hat zur Folge, dass man sich zwischenzeitlich fragen muss, von wem hier eigentlich gerade erzählt wird und welche Rolle die betreffende Figur im Familiengefüge spielt.
Da sind zum Beispiel Samuel und Oz, die auf spektakuläre Weise aus Rumänien fliehen, um sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen. Doch was so hoffnungsfroh beginnt, gelingt doch nicht jedem und Samuel hat zu Hause weit mehr zurückgelassen, als er ahnt. Wendungen und Schicksalsschläge kündigen sich in „Die Unschärfe der Welt“ nicht lange an – sie passieren einfach, so wie es wieder Tag wird und dann Nacht.
Was Leben ausmacht
Iris Wolff schreibt Geschichten über das, was das Leben ausmacht und zeigt die Zusammenhänge, die sich ergeben, wenn Menschen sich treffen, einander begleiten und verlassen, sich finden oder verloren gehen.
Dabei ist Wolffs Sprache so federleicht und doch überaus präzise, an keiner Stelle unnütz ausschweifend oder pathetisch, sondern stets von einer einmaligen poetischen Genauigkeit. Der Blick auf das geschilderte Geschehen ist dabei aber nicht gestochen scharf und auch nicht entlarvend, denn alles legt sie nicht frei. Es ist, als läge ein ganz leichter, feiner Schleier auf den Leben von Karline, Henriette, Hedda und den anderen, denn das, was wir lesend sehen und beobachten, erkennen wir durch den Blick der Künstlerin. Iris Wolffs Kunst ist das herausragend stimmige Zusammenspiel aus Erzähltalent, genauester Beobachtungsgabe und Sprachmagie, oder wie es am Ende von „Die Unschärfe der Welt“ heißt:
„Das Publikum wird dort hinsehen, wo der Zauberer hinsieht. Der Blick des Zauberers ist der Blick des Publikums.“ (213)
Iris Wolff: So tun, als ob es regnet. Roman in vier Erzählungen. Klett-Cotta.
Iris Wolff: Die Unschärfe der Welt. Klett-Cotta.
Weitere Buchempfehlungen findet ihr hier.