(Werbung, da Rezensionsexemplare)
Meine Gedanken stehen unter einem Baum und sehen in die Krone
Der Roman „Meine Gedanken stehen unter einem Baum und sehen in die Krone“ der norwegischen Schriftstellerin Kjersti A. Skomsvold beginnt ganz unmittelbar mit der Schilderung eines körperlichen Vorgangs: Die Erzählerin beschreibt, dass es sich so anfühle, als würde ein eng sitzender Gürtel um ihren Bauch liegen, der sich immer wieder ein stückweit öffnet und anschließend umso fester schließt. Bald schon ringt sie nach Atem und es wird deutlich, was hier tatsächlich vor sich geht: Die Protagonistin hat Wehen und kurze Zeit später sitzt sie bereits mit großer Übelkeit im Taxi und fährt ins Krankenhaus.
„Schreien hilft nichts“, sagt ihr dort die erbarmungslose Hebamme im Kreißsaal, dabei ist es ja in Wirklichkeit gar nicht die Erzählerin, die so laute Geräusche von sich gibt, sondern eine ihr innewohnende und bis dato unbekannte Kraft, die unter der Geburt frei wird: „außerdem schrie ich gar nicht selbst, der Schrei wurde mir aus dem Hals gerissen.“
Ebenso eindrücklich, wie von der Geburt des ersten Kindes erzählt wird, geht es auch weiter, denn nun ist die Erzählerin eine Mutter, die sich fragt, wie sie ihr altes Leben als Schriftstellerin mit ihrem neuen Dasein zusammenführen kann. Schreiben ist nicht nur ihr Beruf, sondern ihre Passion. Doch nun, als Mutter, wird sie eine andere Frau sein, als sie es zuvor gewesen ist, und die Erzählerin fragt sich, ob ihr noch ausreichend Zeit und Raum für Worte und deren Entfaltung bleiben werden.
Doch wenn man nun liest, wie sie über ihr neugeborenes Kind schreibt, darf man unbesorgt sein:
„Ich legte meine Hand wie eine schützende Schale um den zarten Kopf, das Kind war ein friedlicher Apostel. Meine Finger waren genauso lang wie der Unterarm meines Kindes, und seine Verletzlichkeit überschattete meine. Sein Blick, als hätte es schon alles gesehen, als wüsste es alles, als hätte es die Ewigkeit kennengelernt. Und es hatte Flusen in seinen Lebenslinien, die Lebenslinien in seinen kleinen Händen waren so tief, dass sich Flusen darin sammelten.“ (13)
Sprache als Mittel der Annäherung
In diesem hoch poetischen Roman ist die Sprache ein Mittel der Einkreisung und der Annäherung, um bisher unbekannte Erfahrungen und Lebensbereiche erfassen zu können. Das Besondere ist, dass Skomsvold Gedankenbilder erschafft, die so einzigartig sind wie die höchst individuellen Erfahrungen, die ihre Protagonistin macht.
Stereotype Beschreibungen und leere Worthülsen sucht man hier daher glücklicherweise vergeblich, und so ist letztlich ein Roman entstanden, der sich nicht nur mit dem Phänomen des Mutterwerdens beschäftigt, sondern der auch einen Beitrag dazu leistet, die Sprache der Geburt, der Mutterschaft und der Mutterliebe weiter auszudefinieren. Dem vermeintlich Unsagbaren wird in glasklaren Sätzen Ausdruck verliehen, was in der von mir gelesenen Fassung auf Deutsch auch an der wunderbaren Übersetzung von Ursel Allenstein liegt.
Ein Name für dich
Auch in Marjolijn van Heemstras Roman „Ein Name für dich“ geht es um eine junge Frau, die zum ersten Mal Mutter wird. Allerdings ist die Geburt nicht der Ausgangspunkt des Erzählens, sondern gewissermaßen dessen Höhepunkt, auf den alles zusteuert. Denn das Buch beginnt 27 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin, es scheint also noch viel Zeit vorhanden zu sein, um sich einer anderen großen Aufgabe zu widmen.
Die Hauptfigur Marjolijn hat nämlich vor vielen Jahren ihrer Oma versprochen, dass ihr Sohn Frans Julius Johan heißen würde, nach ihrem verstorbenen Onkel, der als Widerstandskämpfer gefeiert wurde. Doch bevor es nun tatsächlich so weit kommt und ihr Kind nach einem Mann benannt wird, der eigentlich ein komplett Unbekannter für Marjolijn ist, stellt sie eine Vielzahl von Nachforschungen an, um herauszufinden, was damals wirklich geschehen ist.
Held oder Verbrecher?
War der sogenannte „Bombenneffe“ tatsächlich ein Held oder war er ein Straftäter, ja vielleicht sogar ein Mörder, der zu spät begriffen hat, dass der Krieg vorbei war? Der Roman ist in Kapitel gegliedert, die herunterzählen, wieviel Zeit der schwangeren Hauptfigur noch bleibt, bis sie ihren Sohn kennenlernen und ihm einen Namen geben wird. Während umfangreicher Recherchen in Archiven und bei verschiedenen Gesprächen mit Zeitzeugen versucht Marjolijn herauszufinden, wie Frans zu dem wurde, der er war.
Doch es gibt so viele Lücken, Varianten und subjektive Wahrheiten, dass jeder Schritt nach vorn zugleich auch den Verlust einer vermeintlich sicheren Erkenntnis bedeutet. Dass es letztlich aber nicht nur darum geht, ein schon gelebtes Leben zu verstehen, sondern auch um den Versuch, sich ein stückweit von den bevorstehenden Ereignissen und Veränderungen abzulenken, wird nach und nach immer deutlicher, da die Schwangerschaft der Erzählerin zwar omnipräsent ist, sich aber hinter all den Fakten und Vermutungen über Frans verborgen hält.
Mir hat van Heemstras Buch gefallen, mehr aber auch nicht. Denn die Suche nach der Wahrheit hat ihre Längen und ich wurde nicht richtig warm mit der Geschichte um Frans, sodass ich die Faszination der Erzählerin für dessen Leben nicht teilen konnte. Sicher ist es ein reizvolles Ziel, eine einem persönlich unbekannte Figur der eigenen Geschichte besser verstehen zu können, doch dabei ist doch im Grunde von vornherein klar, dass man solch ein Ziel niemals erreichen kann, denn wer will sicher wissen, was ein anderer vor Jahrzehnten gedacht und gefühlt haben mag? Und so fand ich den Roman zu unentschieden und das Ende der Suche auch schlicht wenig aufregend.
Kjersti A. Skomsvold: Meine Gedanken stehen unter einem Baum und sehen in die Krone. Roman. Aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein.
Hoffmann und Campe 2019.
978-3-455-00610-0, 20,00 Euro.
Hier der Link zum Verlag.
Marjolijn van Heemstra: Ein Name für dich. Roman. Aus dem Niederländischen von Stefan Wieczorek.
Atlantik Verlag 2019.
978-3-455-00507-3, 20,00 Euro.
Hier der Link zum Verlag.