Heute darf ich euch das nächste Interview mit einer ganz spannenden Frau vorstellen: Lea Gscheidel ist von Beruf Bestatterin in Berlin und Mutter von dreijährigen Zwillingen. Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass ich eine Menge Fragen an Lea hatte…
Liebe Lea, erzähl doch mal…
Warum bist Du Bestatterin geworden? Du hast ja ursprünglich einen ganz anderen Beruf ausgeübt.
Das stimmt. Viele BestatterInnen sind QuereinsteigerInnen. So auch mein Vater, der Bestatter wurde, als ich mein Abi gemacht habe und dann ausgezogen bin. Ich bin damit also nicht aufgewachsen, aber dennoch durch ihn dazu gekommen. Meine ersten Erfahrungen als Bestatterin habe ich gemacht, als ich meinem Vater ausgeholfen habe. Das war von mir nur als Zwischenschritt gedacht. Die interessantere Frage ist daher vielleicht, warum ich Bestatterin bleiben wollte, selbst als der Beruf sich nicht mehr recht mit Schwangerschaft und Kleinkinderzeit vereinbaren ließ.
Die Antwort ist: Das Thema hatte mich gepackt. Ich mag sowohl das Existenzielle als auch das Vielfältige daran. Es ist ein Thema, das inhaltlich so groß, vielschichtig und unerklärlich ist wie die Liebe und das auf der praktischen Seite sowohl nach logistischen, kreativen, unternehmerischen und empathischen Fähigkeiten verlangt. Und das mag ich. Ich hatte bisher keine Arbeit, die mich so vielfältig gefordert und so dankbar und zufrieden gemacht hat.
Mit welcher weit verbreiteten (weil falschen) Vorstellung rund ums Sterben und Bestatten würdest Du gerne ‚aufräumen‘?
Dass es so eine Erleichterung wäre, wenn die BestatterIn einem ALLES abnimmt. Das mag sich zwar im ersten Moment so anfühlen, man verpasst aber auch viele Gelegenheiten zu begreifen, dass jemand wirklich Tod ist und für sich einen Umgang damit zu finden. Es fällt leichter, wenn Dinge eh getan werden müssen, als wenn man sich das später alles anlasslos selbst erarbeiten muss.
Ich denke es ist gut, einzeln zu prüfen, welche der vielen Aufgaben rund um eine Bestattung man gerne selbst übernehmen möchte und was man tatsächlich am besten abgibt.
Papierkram abgeben ist denke ich in den meisten Fällen sinnvoll. Aber sich zu überlegen, was man vielleicht noch in den Sarg mitgeben will und das dann auch selbst hineinzulegen, das kann beispielsweise für Viele hilfreich sein.
Und: In den meisten Fällen hat man Zeit. Manchmal mehr oder weniger Tage (je nach Bundesland), aber es gibt keinen Grund alles kurz nach Eintritt des Todes in einem Aufwasch zu entscheiden – außer man möchte das so. Man darf sich Zeit nehmen, das ein oder andere eine Nacht überschlafen und einen Schritt nach dem anderen entscheiden – wenn einem das leichter fällt.
Hast Du Dich schon immer für den Tod bzw. für den gesellschaftlichen Umgang mit den Themen Tod und Sterben interessiert?
Gerade letztens ist mir ein altes Lieblingskinderbuch in die Hände gefallen: „Die unsichtbaren Freunde“, und ich habe festgestellt, dass es von Elisabeth Kübler-Ross ist. (Elisabeth Kübler-Ross war eine Psychiaterin, die sich intensiv mit Sterbeprozessen und dem Tod befasst hat. Anm. Simone) Aber ich glaube, alle Kinder interessieren sich für Krankheit und Tod – und das Leben und die Welt und alles, was dazugehört.
Also nein. Ich hatte kein spezifisches Interesse am Tod. Ich war als Jugendliche auch nie Grufti oder so. Nur in den medizinischen Büchern meiner Mutter, die Hebamme ist, habe ich gerne geblättert und mich oft etwas gegruselt.
Empfindest Du Deine Arbeit als schwierig oder als außergewöhnlich belastend?
Jein. Familien in einem emotionalen Ausnahmezustand zu begleiten, erfordert eine gewisse emotionale Wachheit und Reife und auch die empathische Kapazität, das gut zu tun. Da muss ich schon aufpassen. Wenn ich in dieser Hinsicht erschöpft bin, kann ich auch keine gute Arbeit mehr machen. Aber das gilt ja für viele Berufe. ÄrztInnen, LehrerInnen, Hebammen, PsychologInnen aber auch Menschen im Beschwerdemanagement und FlugbegleiterInnen usw. Also solange man „normale“ Sterbefälle begleitet, empfinde ich es nicht als außergewöhnlich belastend. Es erdet auch. Schärft den Blick aufs eigene Leben und was einen glücklich macht. Ich habe zudem noch nie so viel Dankbarkeit erfahren, wie bei meiner Tätigkeit als Bestatterin.
Ihr seid ein Familienbetrieb. Du arbeitest gemeinsam mit Deinem Vater, der auch Bestatter ist, und mit Deiner Mutter, die von Beruf Hebamme ist, zusammen, denn Euer Bestattungsunternehmen hat sich gewissermaßen auf die Beerdigungen eher junger Menschen, Jugendlicher und Kinder spezialisiert. Welche besonderen Herausforderungen birgt die Arbeit mit verwaisten Eltern?
Der größte
Unterschied liegt glaube ich darin, dass es bei verwaisten Eltern auch darum
geht, die Bindung zu ihrem toten Kind noch zu stärken, während man gleichzeitig
bereits Abschied nimmt. Normalerweise sind wir als BestatterInnen diejenigen,
die für das Trennende stehen und die Ablösung unterstützen. Bei Sternenkindern
gibt es aber im Vergleich so wenig Erinnerung und so viel Zukunft zu betrauern,
dass es auch wichtig ist, bewusste Erinnerung zu schaffen.
Verwaiste Eltern haben oft nur ein einziges Mal die Gelegenheit ihr Baby
anzuziehen, es zu betten – für die Ewigkeit. Daher ist es mir wichtig, ganz
sicher zu sein, dass die Eltern es nicht selber tun möchten. Denn wenn ich
etwas vorschnell tue, habe ich den Eltern die Möglichkeit genommen, es selbst
zu tun, und es war vielleicht ihre einzige Chance diese Handlung mit ihrem Kind
umzusetzen und eine Erinnerung für den Rest des Lebens zu schaffen. Jede
Familie ist anders und manche brauchen etwas Zeit, um sich darüber klar zu
werden, was sie selber tun möchten und was lieber nicht. Ihnen diese Zeit zu
geben und den Raum, frei für sich zu entscheiden, was sie als Eltern für ihr
Kind wollen, sie zu ermutigen, aber nicht unter Druck zu setzen, ihnen zu
vertrauen, sie aber auch nicht alleine zu lassen in der Überforderung, das ist
oft eine ganz besondere Herausforderung.
Was tust Du, um Deine Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen oder anders gefragt: Wie schaffst Du es, den Tod alltäglich auszuhalten?
Ich glaube, man kann gar nicht anders als das mit nach Hause zu nehmen. Ich nehme ja auch mich mit zur Arbeit. Wenn mich was sehr beschäftigt, rede ich mit Kollegen. Ansonsten bedeutet der Tod im Alltag für mich eher, dass es mir einfacher fällt, gute Entscheidungen für mich und mein Leben zu fällen als früher. Es ist der tägliche Reminder, dass das Leben kostbar ist, wir es niemals völlig unter Kontrolle haben und dass es am Ende keine Belohnung gibt, wenn man besonders hart gearbeitet hat. Ich finde es also eher hilfreich. Manche machen Achtsamkeitskurse oder meditieren. Ich bin Bestatterin. (Obwohl ich natürlich auch schon meditiert und Achtsamkeitsübungen gemacht habe…)
Verlieren die Themen Sterben und Tod für Dich mehr und mehr ihren Schrecken oder hat Dein berufliches Tun wenig mit Deinem Privatleben zu tun?
Keine Ahnung, wie es mir geht, wenn es dann soweit ist, aber durch die Begleitung von Menschen, die das Sterben erleben oder erlebt haben, bin ich viel zuversichtlicher geworden, dass auch ich das kann, was all diese Menschen schon vor mir gemacht haben – den Verlust und die Trauer in ihr Leben zu integrieren.
Du bist Mutter von Zwillingen. Hat Dein Mutter-Sein Deine Arbeit und Deinen Blick aufs Leben und Sterben verändert?
Ja, na klar. Wobei das sehr vielschichtig ist: Ich glaube, der für mich interessanteste oder wirklich unerwartete Punkt in diesem Zusammenhang ist die hormonelle, körperliche Seite vom ersten Jahr mit Baby. Man kann sich das vorher nicht vorstellen. Post-Partum-Body, Schlafdefizit und „Stilldemenz“. Ich sage nur emotionaler Ausnahmezustand und null Planbarkeit.
Und ich glaube so ist es mit der Trauer auch – es wird nur oft übersehen. Es gibt einen körperlichen Aspekt von Trauer, der bei vielen Menschen dazu führt, dass sich Konzentrationsfähigkeit und körperliche Leistungsfähigkeit völlig verändern. Schlafbedürfnis, Essverhalten, Reizverarbeitung. Das Gefühl, sich auf nichts mehr verlassen zu können, weil es sich auch permanent ändert. Also dass man sich selbst dadurch auch ein bisschen fremd ist – einfach weil man sich so nicht kennt.
Es kann eine radikale Veränderung des eigenen Lebens von einer Minute auf die andere sein, die man danach mühselig und über Wochen, Monate und Jahre in sein Leben und das eigene Selbstbild integrieren muss.
Was ist für Dich die schönste Seite Deines Berufs?
Am schönsten ist es, wenn ich Menschen dabei helfen kann, selbstbestimmt ihren Weg zu gehen und wenn ich sehe, wie sie mich weniger und weniger brauchen und immer mehr sich selbst vertrauen und genau das machen, was sich für sie richtig anfühlt. Wenn sie nicht mehr aus Angst und Druck entscheiden, sondern mit innerer Überzeugung und Befriedigung.
Kannst Du uns Bücher oder Filme zum Thema Tod empfehlen, die Du gelungen findest?
Die ganze Literatur ist voll von Tod und Sterben 😉
Also
Sachbücher:
„So sterben wir“ von Roland Schulz
„Wie wir sterben“ von Sherwin Nuland
„Es ist okay, wenn du traurig bist“ von Megan Devine
Fotobände:
„Post mortem“ von Patrik Budenz
„Der ewige Schlaf“ von Rudolf Schäfer
„Nochmal Leben vor dem Tod“ von Beate Lakotta und Walter Schels
Podcast: Das Lebensende
endlich.
Youtube Channel:
Sarggeschichten
Wenn Du die Bestattungskultur in Deutschland verändern könntest – was wäre Dir besonders wichtig?
Alle
Fristen abzuschaffen. Also sowohl die Frist für die Aufbahrung zu Hause, als
auch die Frist, bis wann bestattet werden muss. Die Ascheentnahme in kleinen
Mengen sollte erlaubt sein, der
Friedhofszwang gelockert und städtische Bestattungsdienste abgeschafft. Und
derzeit denke ich darüber nach ob es nicht sinnvoll wäre, so eine Art
rudimentäres Sterbegeld wieder einzuführen. Das habe ich aber noch nicht zu
Ende gedacht.
Das ist ja eine ordentliche politische Agenda geworden – es war mir selbst gar nicht so klar, dass ich das so parat habe. Und ich würde mir wünschen, dass Menschen nicht nur Geburtsberichte veröffentlichen, sondern auch Abschiedsberichte. Ich glaube, das würde der Wahrnehmung darüber, wie breit und vielfältig „normale“ Bestattungen und Trauerprozesse sind, sehr zu Gute kommen. Also uns allen.
Liebe Lea, ich danke Dir ganz herzlich für Deine Worte, die vielen Anregungen zum Nachdenken und all die Informationen über Bestattungskultur und -praxis. Und wenn ihr mehr erfahren möchtet: Leas Instagram-Account @charonstochter kann ich euch sehr empfehlen!
Sehr interessanter Beitrag, habe ich mit großem Interesse gelesen. Meine Enkelin, jetzt 17, hat ein 14-tägiges Praktikum in einem Bestattungsinstitut gemacht. Sie möchte nun nach dem Abitur im nächsten Jahr eine Ausbildung als Bestatterin machen.
Liebe Anne, vielen Dank für Deine Nachricht. Ich habe wirklich große Hochachtung vor diesem Beruf, besonders, wenn man ihn so bedacht und respektvoll ausfüllt wie Lea das tut. Toll, dass Deine Enkelin sich dafür entschieden hat.
Herzliche Grüße,
Simone