Schwangerschaft und Geburt gehören zu den spannendsten Themen, die ich mir vorstellen kann! Die Wichtigkeit und der Wert eines guten Anfangs wurden und werden dabei häufig weiterhin unterschätzt. Für ebenso verfehlt halte ich aber auch Überhöhungen (vermeintlich) natürlicher Prozesse und es geht mir auch auf keinen Fall darum, bestimmten Sichtweisen einen Vorzug zu geben. Mich interessiert vor allem, wie Schwangerschaft und Geburt erlebt werden und auf welche Weise darüber dann gesprochen und geschrieben wird.
Erzählungen von Geburten musste man in der Literatur lange Zeit suchen und wenn sie überhaupt stattfanden, dann waren sie äußerst kurz und stammten nur sehr selten aus der Sicht der Gebärenden (oder Hebammen), sondern meist von Männern. In den letzten Jahren verlängert sich meine Leseliste über Schwangerschafts- und Geburtsdarstellungen in der Literatur erfreulicherweise immer mehr und ich finde, dass es ein gutes Zeichen ist, dass ich kaum mehr hinterher komme. Die sechs Bücher, die ich euch heute zum Thema vorstellen möchte, sind komplett unterschiedlich und beschäftigen sich aus ganz verschiedenen Blickwinkeln mit Schwangerschaft und Geburt im echten Leben, in Geschichte und Gegenwart, in Europa und in anderen Kulturen und nicht zuletzt auch in der Literatur. Ich wünsche euch viel Spaß beim Stöbern!
Babybauchzeit
Die Autorin und Expertin für Familienthemen Nora Imlau ist sicher vielen Eltern ein Begriff. Gemeinsam mit der erfahrenen Hebamme Sabine Pfützner hat sie ein Buch über Schwangerschaft, Geburt und die Zeit danach geschrieben, das ich insbesondere erstmalig werdenden Müttern sehr ans Herz legen kann. Denn ich erinnere mich gut an all die Fragen, die ich nicht schon wieder meine Mutter oder meine Hebamme (und bloß nicht Google) fragen wollte und da hilft so ein kenntnisreiches und dabei sehr entspanntes Fachbuch für Nicht-Fachleute doch ganz immens! Es ist ein Buch, das schwangeren Frauen den Rücken stärken will und das dabei erklärt und nicht belehrt. Wer also fachliches und praktisches Wissen über Schwangerschaft und Geburt sucht, wird hier fündig.
Nora Imlau und Sabine Pfützner: Babybauchzeit. Geborgen durch die Schwangerschaft und die Zeit danach. Beltz Verlag 2018.
Jede Geburt ist einzigartig
Die Hebamme Jana Friedrich, die auch den hebammenblog betreibt, hat mir durch so manche Unsicherheit geholfen – und das selbst noch in der vierten Schwangerschaft, denn nur, weil man mehrere Kinder hat, weiß man längst nicht alles und es gibt immer neue Fragen, die man sich in schlaflosen Nächten stellt. In „Jede Geburt ist einzigartig“ sind unheimlich hilfreiche Tipps und Ideen enthalten, wie man eine Geburt selbst positiv beeinflussen kann und das hat nichts mit Esoterik zu tun, sondern mit Hebammenwissen (und manchmal auch mit Physik und Schwerkraft).
Zudem versammelt Jana Friedrich hier 50 Geburtsgeschichten zu ganz verschiedenen Situationen, Ausgangslagen und Geburtsformen, die ich nahezu verschlungen habe. Das Gute daran ist, dass die Autorin all diese Berichte kommentierend begleitet und somit auch für medizinische Laien verständlich macht, was da gerade eigentlich tatsächlich passiert. Wenn ihr also nach einem Buch suchen solltet, das ich wirklich jeder schwangeren Frau uneingeschränkt empfehlen würde, dann ist es dieses hier.
Jana Friedrich: Jede Geburt ist einzigartig. 50 Geschichten über die elementarste Erfahrung des Lebens. Mit Geburtsfotografien von Josephine Neubert. mvg Verlag 2019.
Erfüllte Körper
Huch, da steht ja mein Name auf dem Titel… Kann ich euch das dann wirklich empfehlen? Eine Frage, die sich der überwiegende Teil meiner männlichen Kollegen so nie stellen würde (zwinkerzwinker). Aber ich bin hier ja auch nur eine von zwei Herausgeberinnen und „Erfüllte Körper. Inszenierungen von Schwangerschaft“ hat es einfach in sich: Es ist ein Buch von zwei Literaturwissenschaftlerinnen, aber es geht letztlich um eine weitaus umfangreichere Perspektive, da zahlreiche tolle Kolleginnen und Kollegen aus der Geschichtswissenschaft, der Soziologie, der Kultur- und Medienwissenschaft mit ihren Aufsätzen dazu beigetragen haben.
Simone Sauer-Kretschmer und Stephanie Heimgartner (Hg.): Erfüllte Körper. Inszenierungen von Schwangerschaft. Wilhelm Fink Verlag 2017.
Birth
Die Journalistin und Autorin Tina Cassidy hat mit „Birth“ eine (kleine) Geschichte der Geburt geschrieben, die das Kunststück fertigbringt, sehr informativ und dabei überaus lesbar zu sein. Man sagt genau das ja oft über englischsprachige Publikationen im populärwissenschaftlichen Bereich und hier trifft es wirklich absolut zu. Denn Cassidy hat sorgfältig recherchiert und bringt ein umfangreiches Wissen über kulturell und historisch verschiedene Zugänge zum Phänomen der Geburt mit ein. Selbstverständlich kann ein so ambitioniertes Unterfangen, wie über die Geschichte der Geburt zu schreiben, immer nur eine Auswahl bestimmter Gepflogenheiten und Gebräuche darstellen, aber das Wichtigste hat Cassidy auf jeden Fall erreicht: Sie rekonstruiert eine Entwicklungsgeschichte des Schwangerseins und Gebärens und unterhält ihre Leserinnen und Leser dabei vorzüglich.
Tina Cassidy: Birth. The surprising history of how we are born. Grove Press 2006.
Rituale der Geburt
Wer sich mit Geburt beschäftigt, kommt an der Körperhistorikerin Barbara Duden nicht vorbei und das ist auch genau richtig so, denn Duden, die eine der Herausgeberinnen dieses Sammelbandes ist, hat bahnbrechende Dinge über Schwangerschaft, das Ungeborene und das durch medizinische Technologien riskierte Recht auf Privatheit geschrieben. Die in der Mehrzahl von Geschichtswissenschaftlern verfassten Aufsätze in diesem Band sind voller spannender Themen und tauchen bspw. tief ein in die Arbeitswelt von Hebammen vor vielen hundert Jahren oder auch in das Wahrnehmen von Schwangerschaft im 18. Jahrhundert. Ein ganz lohnenswertes Buch voller aufregender Forschungsthemen für alle, die etwas tiefer eintauchen möchten.
Jürgen Schlumbohm, Barbara Duden, Jacques Gélis und Patrice Veit: Rituale der Geburt. Eine Kulturgeschichte. C.H.Beck Verlag 1998. (Möglicherweise nur noch antiquarisch zu beziehen.)
Geburt. Ein literarisches Lesebuch
Diese Sammlung von Barbara Bronnen ist ein wahrer Schatz! Denn hier sind Auszüge aus Texten berühmter Schriftstellerinnen und Schriftsteller über Geburt versammelt und ich kann euch versichern, dass diese Texte ansonsten wirklich nicht leicht zu finden sind, da sie bisher kaum systematisch erfasst wurden. Ob Natalia Ginzburg, Margaret Atwood, John Irving oder Maxim Gorki – dieses Buch ist ein Lesevergnügen und ein wunderbarer Anhaltspunkt, wenn man sich zu Schwangerschaft und Geburt in der Literatur einlesen möchte.
Barbara Bronnen (Hg.): Geburt. Ein literarisches Lesebuch. C.H. Beck 1993. (Antiquarisch zu beziehen).