(Werbung, da Rezensionsexemplar)
Über den Roman „Shuggie Bain“ von Douglas Stuart hatte ich schon eine Menge gehört, noch bevor ich das Buch zum ersten Mal aufschlug. Aber wenn ich weiß, dass ich ein Buch noch gern selbst lesen und beurteilen würde, dann meide ich zunächst die Rezensionen anderer und lese sie erst, wenn ich mir eine eigene Meinung bilden konnte.
Ist der Hype gerechtfertigt?
Die Frage, ob der Hype um „Shuggie Bain“ gerechtfertigt ist, konnte ich mittlerweile für mich selbst beantworten und ich erzähle euch gern von meinem Leseeindruck.
Der Roman beginnt 1992 in Glasgow, da ist Shuggie beinahe erwachsen und lebt allein. Wenn wir danach ins Jahr 1981 eintauchen, wissen wir also zumindest, dass Shuggie noch am Leben ist und dass das, was nun erzählt wird, die zurückliegende Geschichte seiner Kindheit, seiner Familie und vor allem auch seiner Mutter Agnes ist. Shuggie lässt sich ohne Agnes kaum denken, da der Junge seine Mutter abgöttisch liebt und nichts mehr will, als bei ihr zu sein und ihr zu genügen.
Agnes ist krank
Doch Agnes ist schwer alkoholkrank und bekommt ihr Leben höchstens phasenweise in den Griff. Zu Beginn lebt sie gemeinsam mit ihren drei Kindern und ihrem Mann Big Shug, einem Taxifahrer, bei ihren Eltern, doch die Wohnsituation ist beengt und außer Shuggie ist damit auch keiner so recht zufrieden. Doch als Big Shug Agnes einen Umzug ankündigt, verschieben sich nicht nur räumliche Grenzen.
Selten las ich von einer Familie, die fieser und niederträchtiger im Stich gelassen wurde, und spätestens an dieser Stelle war ich nicht nur vollauf eingenommen für Shuggie und seinen großen Bruder Leek, sondern auch für seine Mutter. Agnes trinkt, um zu vergessen, aber der Alkohol macht sie wütend und unberechenbar und so sorgt sie im Vollrausch regelmäßig für teils irreversible Katastrophen.
Shuggie und Leek geben jahrelang ihr Bestes, um Agnes dennoch beizustehen, aber mit jedem Jahr, das vergeht, wird der Sumpf, in dem Agnes steckt, nur noch tiefer. Zudem wird Shuggie natürlich auch älter und da sind die Nachbarskinder, die ihm auflauern und sich das Maul über ihn zerreißen, denn Shuggie erscheint ihnen zu ordentlich frisiert, zu seltsam zu laufen und zu gewählt zu sprechen, kurz: zu anders zu sein.
Autobiographische Elemente
Die Geschichte von „Shuggie Bain“ ist tragisch, aber es ist auch die Geschichte der überlebensgroßen Liebe eines kleinen Jungen zu seiner Mutter, die auch dann nicht versiegt, als diese längst am Boden liegt. Ich musste während des Lesens mehr als einmal arg schlucken, denn die Verletzungen und Erniedrigungen, denen alle Figuren hier ausgesetzt sind, werden immer schlimmer.
Douglas Stuart hat diesen 2020 mit dem Booker Prize ausgezeichneten Roman seiner Mutter gewidmet, die ebenfalls gegen die Sucht angekämpft hat. Man kann nur ahnen, wie viele Szenen des Romans eine autobiographische Färbung erfahren haben, aber sicher ist, dass Stuart einen ganz hervorragenden Blick für Details hat.
Das Viertel, in dem die Familie Bain wohnt, und seine Bewohner:innen sind überaus deutlich und ‚echt‘ beschrieben, sodass sämtliche Figuren und ihre Handlungen überzeugen. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass der Versuch unternommen wurde, die spezielle Mundart der Glaswegians auch in der deutschen Übersetzung beizubehalten. Anfangs hatte ich die Befürchtung, dass diese Übernahme störend sein könnte, aber das ist überhaupt nicht der Fall, da man sich an die verwischte und Buchstaben schluckende Sprache äußerst schnell gewöhnt. Stilistisch bleibt Stuart zudem stets klar und ohne Pathos, denn das braucht es nicht bei einem aus sich selbst heraus so überzeugendem Helden wie Shuggie.
Wenn mich nun also jemand fragt, ob ich die Begeisterung über „Shuggie Bain“ teile, dann kann ich nur laut und deutlich mit ‚Ja‘ antworten und allen empfehlen, sich diesen Roman nicht entgehen zu lassen!
Für Leserinnen und Leser von: Donna Tartt „Der Distelfink“
Douglas Stuart: Shuggie Bain. Roman. Aus dem Englischen von Sophie Zeitz. Hanser Berlin 2021. ISBN: 978-3-446-27108-1, 496 Seiten. Preis: 26,00 Euro.